HIV infizierte T-Zelle – Flickr.com CC BY 2.0 |
Der 1. Dezember ist Welt-AIDS Tag. Zeit Bilanz zu ziehen. Die Vereinten Nationen schätzen die Anzahl der Infizierten weltweit auf 37 Millionen und auch wenn es in Afrika besonders schlimm ist, so wird kein Land der Erde von dieser Plage verschont. Aber warum besteht das Problem überhaupt noch? Kann es sein, dass man die Problematik unterschätzt?
Von Rui Filipe Gutschmidt
Ich könnte jetzt Statistiken der UN und WHO zitieren. Zahlen, nackte, unmenschliche Zahlen. Aber dabei geht die Essenz von der Problematik verloren. Denn wir reden von einzelnen Schicksalen und irgendwo, zwischen all den Erfolgsmeldungen, sterben weiter Menschen, bauen sich Resistenzen auf und sind die Infizierten, trotz geringerer Nebenwirkungen, alles andere als fit, um im knallharten Konkurrenzkampf unserer Ellenbogengesellschaft eine Arbeit zu bekommen und, selbst wenn sie Arbeit bekommen, dann powern sie sich schneller aus, als gut für sie ist.
Übertrieben? Nicht für die, die es betrifft. Wie gesagt, Zahlen sind unmenschlich, doch es gibt einfach zu viele, die durch die Maschen fallen. Doch das zeigen unsere Medien nicht. Ja, man muss in Afrika helfen, wo unsere Regierungen Geschäfte mit korrupten Präsidenten, Militärs, Diktatoren und dergleichen machen und ihre Bevölkerung völlig im Stich lassen. Aber wir müssen uns nicht wundern, wenn nationalistische Populisten und Islamisten gleichermaßen die Europäer für radikale Ideen begeistern können, solange unsere Regierungen und deren Propagandaorgane, einen guten Teil ihrer Bürger übersieht, missachtet, ausgrenzt und deren Aufschrei ignoriert, totschweigt oder gar verunglimpft. Dies ist aber generell der Fall.
Doch zurück zu HIV/AIDS. Ich bin froh, über jeden Erfolg, jeden neuen Test für einen Impfstoff, für jedes neue Medikament. Aber die Art und Weise, wie in der Presse darüber berichtet wird, ist fast schon kriminell. Denn statt zu erläutern, dass ein Impfstoff – den es auch noch nicht gibt und der auch noch Jahre braucht – nur eine Präventionsmaßnahme ist und bereits infizierten Patienten nichts bringt, kündigen sie den „großen Durchbruch“ mit einer Schlagzeile wie „AIDS verliert seinen Schrecken“ oder „Heilmittel für HIV/AIDS“ an.
Es ist immer wieder erschreckend, dass die allgemeine Auffassung herrscht, HIV sei eine „chronische Erkrankung, mit der ein ganz normales Leben möglich ist…“! Dies mag für sehr viele Menschen auch richtig sein, doch dabei handelt es sich vor allem um Menschen, die in den letzten 10 bis 15 Jahren infiziert wurden, sozial und finanziell abgesichert sind und die dementsprechend Zugang zu durchgehend ärztlicher Versorgung haben.
Nun weiß eigentlich jeder der mit offenen Augen durch Europas Städte und Dörfer geht, dass der Sozialstaat nur noch ein Mythos ist. Erst kürzlich schrieb ich über den Fall der 4-jährigen Anna, die den Sparmaßnahmen in Schwedens Gesundheitssystem zum Opfer fiel. Die Ärzte übersahen einen riesigen Tumor bei dem kleinem Mädchen, was ein Bluttest hätte verhindern können. In Portugal haben wir in letzter Zeit öfter Ausbrüche von Legionellen und auch in Deutschlands Krankenhäusern tummeln sich multiresistente Keime und Patienten bekommen immer wieder die Frage gestellt: „Kasse oder Privat?“
Euronews ist eine Ausnahme in unserer Medienlandschaft. Der Zusammenschluss aus unzähligen staatlichen TV-Sendern und die verschiedenen Sprachen und Kulturen, ermöglicht es den Journalisten frei zu berichten. Auch wenn in Ungarn eine starke staatliche Kontrolle herrscht, so konnte Gábor Ács ohne Probleme bei Euronews die Zahlen aus seinem Land veröffentlichen.
„Es scheint mir, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit von AIDS wegbewegt hat, da diese Krankheit gut behandelt werden kann und Patienten 40-50 Jahre überleben können. Schutzkampagnen gegen diese Krankheit sind schwächer und die neuen Daten zeigen dies, weil die Zahl der neuen HIV-infizierten Menschen in Ungarn nicht abnimmt. Es gibt zwischen 2.000 und 3.000 neue Fälle pro Jahr“, sagt der ungarische Infektiologe János Szlávik.
Für Euronews-Journalist Ács liegt der Grund bei dem mangelnden Bewusstsein für die Problematik: „Es gibt wirksame Medikamente, aber es gibt viele Menschen, die den HIV-Test nie gemacht haben und daher sehr spät ins Krankenhaus kommen. Wenn die Krankheit bereits weit fortgeschritten ist , dann wird es unmöglich zu helfen. Der einzige Weg, dies zu vermeiden, ist den Test regelmäßig zu machen.“
Warum aber machen die Menschen keinen regelmäßigen HIV-Test? Weil die Sensationsmeldungen in den Medien das Bild einer harmlosen Infektion vermitteln. AIDS ist – in den Köpfen der meisten Europäer – ein Problem der anderen. Weit weg in Afrika ist es schlimm, was für viele ein Grund ist dort helfen zu wollen und für andere ein weiterer Vorwand, um Europas Grenzen Dicht zu machen. Das Leiden der Betroffenen zu politisieren ist unterste Schiene und kommt leider auch noch hinzu.
Wir sollten endlich mit den Verallgemeinerungen aufhören und mehr an alle diejenigen denken, die eben nicht vorbildlich trotz Erkrankung arbeiten, in einer glücklichen Partnerschaft leben und ein geregeltes Leben führen. All jene, bei denen die Medikation nicht so gut anschlägt, deren Virusstamm Resistenzen und Kreuzresistenzen hat, die Zweiterkrankungen haben oder von Natur aus ein schwaches Immunsystem aufweisen, brauchen Hilfe.
Ja, auch die Alkoholiker, Drogenabhängige, psychisch Kranke, die ein Leben am Rande unserer Gesellschaft fristen, dürfen nicht vergessen werden. Die Marginalisierung ist nach wie vor ein Thema und verstärkt die Problematik noch zusätzlich. Einsamkeit ist auch ein Nebeneffekt und HIV/AIDS ist mehr wie eine „chronische Infektionskrankheit“ – HIV/AIDS ist, so will mir scheinen, auch eine Krankheit der Gesellschaft.
Antworten