Rui Filipe Gutschmidt – 25. April 2020
Heute, 25. April 2020, herrscht in Portugal, wie auch im Rest der Welt, der Ausnahmezustand wegen der COVID-19 Pandemie. Aber es ist auch Feiertag, da das Land am 25. April 1974 die bis dahin herrschende Diktatur mit einem Militärputsch durch eine demokratische Regierungsform ersetzte. Der „Tag der Freiheit“ wird also mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit und ausgesetzten Bürgerrechten begangen. Was bedeutet das für die Portugiesen?
Der 25. April 1974 war der Tag, in dem Portugal, welches Jahrzehnte der Isolierung, Armut, Unterdrückung und Krieg erleben musste, die Demokratie errungen hat. Jahrzehnte einer faschistischen Diktatur hatten Portugal fast 50 Jahre lang in einer Art Tiefschlaf gehalten. Es war der sinnlose, blutige Krieg in den nach Unabhängigkeit strebenden Kolonien, der die Militärs, vor allem die Offiziere der mittleren und niederen Ränge, gegen das Regime aufgebracht und damit die Revolution ausgelöst hat. 46 Jahre später, in Mitten des Ausnahmezustands der Covid-19 Pandemie, spürt das Volk wie kostbar die errungenen Freiheiten sind. Es gilt daher die eingerostete Demokratie zu renovieren und die Machtkonzentration, die Resultat der Kapitalkonzentration ist, zu stoppen.
Als in den frühen Morgenstunden dieses angenehmen Frühlingstages 1974, die staatliche Radiostation das Lied „Grândola Vila Morena“ von Zéca Afonso spielte, in dem von Liberdade (Freiheit) und vom „Volk, dass die höchste Macht hat“ gesungen wird, war den aufmerksamen Hörern klar, dass etwas im Busch ist. Keine Nachrichten, kein Wetter, nur Lieder, die auf dem Index standen. Es war das Zeichen, für Kapitän Salgueiro Maia und seine Truppe zum Regierungssitz zu fahren. Würden sie auf Widerstand stoßen, müssten sie auf Kameraden schießen? Würde Blut fließen oder würde es gar Tote geben? Wenn der Putsch fehlschlägt würden sie alle hingerichtet werden, nachdem die berüchtigte PIDE die Namen aller Mitverschwörer aus ihnen „herausgefoltert“ hätte! Die Foltermethoden standen denen der GESTAPO oder des KGB in Nichts nach. Doch wie wir wissen, wurden Nelken in die Gewehrläufe gesteckt und die Revolution verlief fast unblutig. Nur 4 Tote und einige Verletzte gab es, als die Folterknechte der PIDE in die vor ihren Posten in Lissabon demonstrierte, einige Maschinenpistolensalven feuerten.
Der Rest ist Geschichte. Portugals Demokratie befreite die Frauen, Bauern, Arbeiter und sorgte für eine Alphabetisierung, Erschaffung eines öffentlichen Gesundheitssystems, Gewerkschaften, die Elektrifizierung des ganzen Landes und brachte viele Freiheiten und Rechte für dieses Volk, dass einst um die Welt segelte und Handelsbeziehungen rund um den Globus etablierte.
Doch die Revolution des 25. April 1974 brachte vor allem Frieden! Den Frieden mit den Völkern, die in den afrikanischen Besitzungen Angola, Mosambik und Portugiesisch Guinea, die im Kampf für ihre Unabhängigkeit einen blutigen Krieg gegen die Kolonialherren führten. Die jungen Männer Portugals wollten nicht länger ihr Leben, ihr Blut, ihre körperliche und geistige Gesundheit für ein Unrechtssystem geben.
Doch dieser Tag, der mit Recht Jahr für Jahr gefeiert wird und auf den die Portugiesen stolz sind, wird dieses Jahr – das 46. Jahr in einer Mehrparteiendemokratie – von der Coronavirusepidemie überschattet. Der vor über einem Monat verhängte Ausnahmezustand hat die mutig und entschlossen erstrittenen Freiheiten und Rechte eingeschränkt, was die Menschen wieder spüren lässt wie wichtig die „Werte des April” für unser Leben sind.
Demokratie, Menschenrechte, besonders die Presse- und Meinungsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Arbeit, Wohnraum, Wasser, Gesundheit und Bildung, waren für uns inzwischen selbstverständlich und wir liessen uns vom Geld der neoliberalen Machtelite einlullen, sahen es als unvermeidlich an, dass ausländische Kooperationen, Bankster, Spekulanten und gierige Börsenzocker unserer Regierung Vorschriften machen, bis in der Eurokrise die Menschen ausgepresst, in immer größere Armut und, für wen dies möglich war, in die Emigration getrieben wurden.
Das will die sozialdemokratische Regierung der Partido Socialista (PS) auf keinen Fall wieder zulassen. Aber der Druck der EU, der weltweit ins Chaos gestürzten Finanzmärkte, der Ratingagenturen und eben der neoliberalen Großkapitalisten wird darauf drängen, dass die alten Machtverhältnisse wiederhergestellt oder sogar noch ausgebaut werden. Je grösser die Misere, desto mehr Macht kann man mit Geld kaufen. Das muss – nicht nur in Portugal – mit allen Mitteln verhindert werden.
Es ist an der Zeit, dem Staat seine Aufgaben zurück zu geben, die im Privatisierungs- und Kürzungswahn an private Investoren abgetreten wurden und die nicht mehr als Dienst am Bürger betrieben werden sondern einzig mit dem Ziel schnelle Gewinne einzufahren vom Großkapital übernommen wurden. Nationalisierung ist das Zauberwort, dass das Gesundheitswesen, die Bildung, den sozialen Wohnungsbau, Transportwesen oder auch die Post, Telekommunikation oder Banken ein neues Leben im Dienste des gesamten Volkes bescheren kann.
Es ist jetzt schon eine Aufbruchsstimmung zu spüren und es bleibt zu hoffen, dass diese Lektion von Mutter Natur nicht gleich wieder in Vergessenheit gerät. Das neoliberale System, dass mit Korruption und Gewalt eine kleine Elite an der Macht hält, hat versagt. Zeit, uns auf das wesentliche zu besinnen und die Werte des April zu erneuern – nicht nur in Portugal.
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Die Nelkenrevolution – eine vergebene Chance
Die portugiesische Bevölkerung wurde unter Salazar in Armut, Unwissenheit und Rückständigkeit gehalten. Nahezu wie im Mittelalter, waren mehr als ein Drittel der Bevölkerung, Analphabeten. Das hat sich mit dem Sturz des Faschismus geändert, auch wurden mit dem Sturz von Salazar die Kolonialkriege beendet.
Dennoch bleibt es für Kommunisten eine misslungene Revolution. Es fehlte damals wie heute in Portugal an einer Kommunistische Partei, die diesen Namen auch verdient. Die PCP, die Kommunistische Partei Portugal, war und ist, durch und durch revisionistisch entartet. Insbesondere nutzte sie nicht die Gunst der Stunde und führte ihr Volk in eine Bewegung, die den Sturz des kapitalistischen Ausbeutersystems zur Folge hatte. Ihr reichte es, sich gemeinsam mit den Sozialisten selber zu feien. Sie hatte sich bereits vom marxistisch Leninistischen Ziel verabschiedet, für die Macht in Hand der Arbeiterklasse zu kämpfen. Die Chance des Umsturzes war durchaus real. Die PCP war nicht unbedeutend, sie war stark vertreten im ländlichen Bereich, bei der „einfachen Bevölkerung“ und bei den Tagelöhnern. Die proletarische Revolution wurde von ihr verraten, zugunsten eines Parlamentarismus. Revisionismus pur, wie es die revisionistische KPdSU predigte.
Heute mag aus bürgerlicher Brille das Land Portugal im europäischem Maßstab die letzten Krisen gut gemeistert haben, aber die arbeitende Bevölkerung leidet immer noch an der kapitalistischen Ausbeutung durch ihre Arbeitgeber. Da hat sich nichts geändert. Gerade im Bereich des Tourismus werden Niedriglöhne gezahlt, die in Teilen, oder ganz, unter der Hand (also schwarz) gezahlt werden. Das hat gegenwärtig, in der wirtschaftlichen Corona-Kriese verheerende Auswirkungen auf staatliche Unterstützung, die nur die offiziellen Gehälter berücksichtigt. Wer bisher nicht bereit war diese Art der Bezahlung zu akzeptieren, erhält den Job nicht. Des weiteren macht es die Kaufwut ausländischer Kapitalanleger der Bevölkerung schwer, noch eigenen Wohnraum zu finden. Sie vermieten an Touristen ihre erworbenen Immobilien, der Einheimische geht leer aus bei der Wohnungssuche.
Aber die Ausbeutung der Bevölkerung ist eine Sache, die Ausbeutung der Bodenschätze, insbesondere im Norden Portugals, kommt noch hinzu. Das dort vorhandene Litiumgestein soll das größte Vorkommen in Europa sein. Die Regierung in Lissabon, schiebt es dem britische Bergbauunternehmen Savannah Resources, zu. Die örtlichen Bürgerinitiativen und deren Protest bleiben ungehört. So funktioniert kapitalistische Ausbeutung in Portugal. Dennoch haben Protestierende dem Bergbauunternehmen den Zutritt zu privaten und gemeindeeigenen Grundstücken verwehrt, als diese dort Probebohrungen vornehmen wollten. In einem der betroffenen Orte, in Montalegre unweit von Covas do Barroso, boykottierten sie die letzten Parlamentswahlen. Der zuständige Staatssekretär aus dem Umweltministerium, João Galamba, wurde aus dem Dorf vertrieben, als er den Lithiumabbau zugunsten ausländischer Investoren anpreisen wollte.
In der Algarve hatte der Protest der Bevölkerung Erfolgt. 2007 hatten die Sozialisten in Lissabon dem Ölmulti Shell erlaubt, vor der Küste Ölplattformen zu errichten und Probebohrungen durchzuführen. Das konnte bisher von der breiten Bevölkerung durch ihre Proteste verhindert werden.
Heinrich Schreiber