Der doppelte Putsch, oder wie Erdogan die Türkei säubert – Re-PostAnti-Erdogan Protest – Flickr.com CC By-SA 2.0

Anti-Erdogan Protest – Flickr.com CC By-SA 2.0
Re-Post 16. Juli 2016 – Was wird nicht alles über den gescheiterten Putschversuch in der Türkei spekuliert. Wer oder was genau hinter dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei steckt ist noch nicht klar. Erdogan beschuldigt den in Pennsylvania, USA lebenden Fethullah Gülen und damit indirekt die CIA. Gülen wiederum beschuldigt Erdogan den Putsch inszeniert zu haben. In Portugal sprach Catarina Martins vom „doppeltem Putsch“ und der heuchlerischen EU…
Von Rui Filipe Gutschmidt
Catarina Martins ist die Vorsitzende des linksliberalen Bloco Esquerda (BE), der António Costa und seine Minderheitsregierung im Parlament stützt. Die intelligente Politikerin kritisiert seit langem die Politik der EU, die im Namen guter die Geschäfte für die Auserwählten der europäischen Wirtschaft, Werte wie Demokratie, Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit in den Hintergrund stellt. Zu den jüngsten Ereignissen in der Türkei äußerte sich Catarina mit der Offenheit, die die Europäische Union vermissen lässt.
Wir haben an zwei Tagen zwei Staatsstreiche in der Türkei erlebt. Einen fehlgeschlagen und einen geglückten, der noch im Gange ist, bei dem der türkische Präsident die Macht auf sich konzentriert.“ Des weiteren mahnt die überzeugte Demokratin die EU an, ihre Haltung zur Türkei zu überdenken und nicht mit der Eliminierung der Opposition und der Machtkonzentration auf Erdogan zu paktieren. „Die EU sollte sich jetzt für den Schutz der Demokratie einsetzen. Es ist nicht akzeptabel, dass wir mit der Machtkonzentration auf Erdogan und der Ausschaltung der Opposition und sei es durch unser Schweigen, paktieren.“
Federica Mogherini, die oberste EU-Diplomatin, meinte zwar auch, dass es (der Putschversuch) für die Türkei kein Grund sein darf den Rechtsstaat auszusetzen und dass, ganz im Gegenteil, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hierbei eine zentrale Rolle spielen sollten. Auch John Kerry, der Vertreter der US-Außenpolitik, mahnte die türkische Regierung an, die Ordnung und die Ruhe wiederherzustellen ohne dabei in Revanchismus zu verfallen und selbst Recht und Gesetz zu überziehen. Beide Aussagen sind nichts als die übliche heiße Luft, die in der Hitze des anatolischen Sommers nicht spürbar ist. Erdogan ist es jedenfalls egal, was EU und USA so von sich geben.
Catarina Martins hat ihrerseits noch einmal ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen, als sie die Lage in der Türkei beschrieb. Die Massenverhaftungen in Justiz und Polizei – bei den Militärs sicher auch nicht an dem Putsch beteiligte – die Einschüchterung der Opposition und Medien würden „mit allen Regeln der letzten Reste der Demokratie in der Türkei auch noch brechen“. Doch wirklich Besorgniserregend ist die Haltung der EU, die weiterhin die Türkei und Präsident Erdogan als Partner anerkennt. Das ist umso schlimmer, weil im Zuge der Flüchtlingspolitik Milliarden Euro an die Türken bezahlt wurden und die Flüchtlinge in den EU-Finanzierten Lagern jetzt in einem aggressivem Klima zwischen den Fronten gefangen sind. Leicht denkbar, dass diese Menschen zu einer Art Geiseln werden.
Zu guter Letzt macht Catarina Martins noch einmal klar, dass der BE jeden Putsch ablehnt, sich zum Schutz der Demokratie bekennt und somit beide Staatsstreiche verurteilt. Man kann nicht im Namen der Demokratie, die Demokratie aussetzen. In diesem Punkt kann ich meiner Lieblingspolitikerin jedoch nicht zustimmen. Denn ohne die Militärs hätte Portugal – und wohl auch Spanien – noch immer eine Diktatur. Die Ähnlichkeit mit Portugals Revolution ist zwar zu erkennen, aber von ein paar Details mal abgesehen, fehlten die grundlegenden Punkte, die den Putsch in der Türkei scheitern und so sehr nach einer Inszenierung aussehen ließen. Erdogan versucht seit langem aus der Türkei eine Autokratie zu machen. Dabei scheint es ihm inzwischen auch egal, ob die EU oder andere Verbündete ihn als protofaschisten Möchtegerndiktator sehen oder nicht. Auch die Todesstrafe will er wieder einführen und pfeift dabei auf den EU-Beitritt. Die Todesstrafe wurde einst abgeschafft, als die EU dies zur Voraussetzung für einen Beitritt machte. Doch Erdogan hat daran schon lange kein Interesse mehr. Recep Tayyip Erdogan will die absolute Macht in der Türkei und in der gesamten Region. Ob man ihn Präsident, Diktator oder Sultan nennt, ist ihm dabei egal. Europas Regierungen, so Catarinas und auch meiner Meinung nach, sollten ihn Diktator nennen und ihn auch dementsprechend behandeln. Aber da die EU selbst nicht mehr viel mit einer Demokratie zu tun hat, ist auch das eher unwahrscheinlich.
Lesen sie auch den Folgeartikel: Türkei, ein Jahr danach. Wem nutzte der „Putschversuch“?

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