Jairo Gómes – Freier Autorv und Hartz IV-Empfänger (Lizenzfrei) |
Als Bezieher der Grundsicherung ist es nicht gerade einfach an die Öffentlichkeit zu gehen und sich zu „outen“. Da ist dieses verdammte Stigma, welches so gut wie jedem anhaftet, der Hartz-IV in Anspruch nehmen muss. Auch mir.
Sätze wie „Es gibt kein Recht auf Faulheit!“ von Gerhard Schröder (SPD) oder „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“, 2006 vom ehemaligen SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering ausgesprochen, haben sich unauslöschlich in viel zu viele Köpfe eingebrannt.
Dabei drängt sich mir die Frage auf, wie sich im Moment von Münteferings Statement zum Beispiel die Mitarbeiter des Chiphersteller Infineon gefühlt haben mögen, die in München-Perlach ihre Jobs verloren, weil die Konzernbosse das Stammwerk dichtmachten. Oder was die Belegschaften von den unzähligen anderen Firmen gedacht haben mögen, die pleitegingen oder aus wirtschaftlichen Gründen ins Ausland verlagert wurden und deren Mitarbeiter keine neue Anstellung fanden.
Franz Müntefering und Gerhard Schröder sind natürlich nicht alleine verantwortlich für die Konstruktion der Hartz-IV-Gesetze, die sich gegen die eigene Bevölkerung gewendet haben. Auch nicht ein Wolfgang Clement, 2002 bis 2005 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit im Kabinett Schröder, der Stimmung gegen Arbeitslose machte.
Gewerkschafter, Unternehmensvertreter und Politiker arbeiteten in der Hartz-Kommission mit oder votierten im Bundestag für Arbeitsmarktreform und Hartz-Gesetze. Und natürlich ist da noch der ehemalige VW-Manager und Ex-Kanzlerberater Peter Hartz selbst, dessen Name zum Synonym für Armut wurde.
Sie zusammen öffneten einer kalten und asozialen Politik Tür und Tor, die die Gesellschaft gespalten hat und einen erheblichen Teil an Solidarität und Empathie zerstörte.
Es geht ans Eingemachte
Die Medien trugen ihren Teil zur Entwicklung bei, an vorderster Front die Boulevardpresse, vor allem die Bild-Zeitung und einige private Fernsehsender. Sie dichteten den Hartz-IV-Empfängern das Image des ungebildeten und arbeitsscheuen Menschen an, das sich in den Hirnen eines sehr großen Teils der Bevölkerung eingenistet hat und sich bis heute dort hält.
Mir kann aber niemand erzählen, dass die Mehrheit der Menschen, die eine Grundsicherung bezieht, diesem Bild entspricht. Laut Statistik sind in Deutschland fast 4,5 Millionen Menschen, die davon betroffen sind. Ja, sie sind betroffen.
Denn ihr Alltag ist sehr hart, wie die täglichen Berichte des Journalisten Michael Wögerer über das Leben mit Mindestsicherung zeigten. Leider sind seine Beschreibungen unvollständig. Sie sind es, weil es sich um ein zeitlich begrenztes Experiment handelte. Er wusste, dass es nach 31 Tagen vorbei ist und er wusste auch, dass er in den 31 Tagen keine Sanktionen zu fürchten hat. Ich gehe deshalb davon aus, dass er sich nicht wirklich minderwertig fühlte. In der Realität geht es aber ans Eingemachte, an das Selbstwertgefühl und an die Selbstbestimmung.
Hosen runter, Selbstbestimmung weg
Ein Mensch, der in die unsägliche Situation gerät, sich nicht mehr von eigener Arbeit ernähren zu können, weil er sie verloren hat oder er so wenig Gehalt für sie erhält, dass das Einkommen nicht bis zum Monatsende reicht, der weiß nicht, wann dieser Zustand beendet ist.
Befindet man sich über einen längeren Zeitraum in dieser Situation, kann es durchaus passieren, das einem das Selbstwertgefühl nach und nach abhanden kommt – das macht krank.
Die Selbstbestimmung ist man direkt zu Anfang los, wenn es heißt: „Hose runter!“ Sämtliche Ersparnisse, die Maßnahmen, die man in früheren Jahren getroffen hat, um im Alter abgesichert zu sein, all das Finanzielle muss beim Jobcenter offen gelegt werden. Vieles muss aufgebraucht werden, bevor die Mindestsicherung greift.
Abzüglich der Miete und des Abschlags für die Stromversorgung bleiben einem Alleinstehenden im Monat etwas über 300 Euro. Ja, man kann davon leben, allerdings bleibt es beim Leben. Mit dem Bezug der Mindestsicherung beginnt die soz
iale Isolation.
Der Fernseher als bester Freund
Reisen, Urlaub oder Auto sind Vokabeln, die man gleich aus seinem Sprachgebrauch streichen kann. Besuche im Theater oder im Kino und Verabredungen in der Kneipe nebenan oder im Restaurant an der Ecke sind nicht mehr möglich. Alle Vergnügungen, die Geld kosten werden zum Tabu, selbst wenn Freunde dazu einladen. Wer lässt sich schon gerne ständig aushalten?
Es passiert daher sehr leicht, dass man sich zurückzieht. Die sozialen Kontakte nehmen ab und der heimische PC und der Fernseher werden zu den besten Freunden. Die daraus resultierende Vereinsamung geht nach einiger Zeit unweigerlich an die Psyche. Depressionen stellen sich ein. Mir ist es zumindest so ergangen und ich habe aktuell immer noch Schwierigkeiten damit.
Mir ist bewusst, dass ich nur einer von Abermillionen Menschen bin, die sich in der misslichen Lage befinden, eine Mindestsicherung zu beziehen und es ist mir klar, dass es darunter Menschen gibt, denen es schlechter geht als mir, dennoch will ich meinen Werdegang beschreiben.
Dazu jedoch mehr im zweiten Teil, der morgen online geht.
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