Armes fehlgeleitetes Deutschland – wie Südeuropa den Wahlausgang bewertet

Bundestagswahl_Aufmacher – Bild Dirk1981 Wikimedia CC BY-SA 4.0

Die Deutschen haben gewählt und wie erwartet mit der Groko abgerechnet. Was denken die europäischen Nachbarn aber über den Wahlausgang? Was sind deren Erwartungen, Befürchtungen, Ängste?
Von Rui Filipe Gutschmidt

Deutschlands Parlament hat zukünftig sechs Parteien und rutschte nach Rechts. Die Große Koalition wurde schwer abgestraft, die SPD geht in die Opposition und die AfD zog in den Bundestag ein. Dazu kommt noch die Rückkehr der FDP und das Chaos ist perfekt, oder? Nein! Zu allem Übel wird Angela Merkel versuchen eine „Jamaika-Koalition“ zu schustern. Doch was in Deutschland vorgeht, darüber werden die Deutschen zur genüge (des-)informiert.
Was die Menschen an anderer Stelle vom deutschen Wahlergebnis halten mag ja vielen erst mal egal sein, doch von Geschäftsbeziehungen über die Art und Weise wie man als Deutscher im Urlaub oder generell im Ausland beurteilt wird, hängt von dem Bild ab, dass „wir Deutsche“ von „uns selbst“ präsentieren. Es dauerte Jahrzehnte, um das Cliche vom NAZI, anti-semitischen und von sich selbst als Herrenrasse redenden Deutschen, einigermassen aus den Köpfen der Europäer und dem Rest der Welt zu bekommen.
Doch die Errungenschaften der Deutschen, der Ruf von „Made in Germany“, die Demokratisierung und ein vorbildlicher Sozialstaat änderten dieses Bild bis in die 80er Jahre. Dann kam die Wiedervereinigung und das Auftreten der Deutschen in aller Welt bekam eine immer deutlicher werdende Arroganz. Von den Firmen, die im Ausland produzierten, mitgeschickte Techniker oder Urlauber die sich mit verhältnismässig wenig Geld wie Könige fühlten und sich auch so verhielten, wurde der Ruf der Deutschen wieder in den Schmutz gezogen. Wie bei allen Vorurteilen reichen ein paar Störenfriede um alle in Misskredit zu bringen. Die Flüchtlinge können ein Lied davon singen.
Bundestagswahl 2017 portugiesische Zeitung JN beiRedaktionsschluss – Bild v. R.F. Gutschmidt
Doch den AfD-Wählern ist das egal. Sie ziehen mit ihren Sprüchen in den Bundestag ein und sorgen gemeinsam mit den Sprüchen von Schäuble oder Merkel für ein Bild Deutschlands, dass langfristig der Stellung des Landes und dem Ansehen seiner Bürger großen Schaden zufügen wird.
Man fragt sich natürlich in weiten Teilen Europas und der Welt, wie es zum Aufstieg der AfD kommen konnte. Dabei spekulieren viele, ob Merkel zu viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Aber das wahre Problem ist das „Wie“! Wie die Flüchtlinge nach Deutschland geholt wurden und wie diese anschließend sich selbst überlassen werden. Die AfD, die sich selbst verharmlosend in die Köpfe der Deutschen schlich, wird in aller Welt ohne Umschweife oder Verharmlosung, als rechtsextreme, rassistische Partei bezeichnet und ihr Anwachsen mit dem Anstieg ultranationalistischer Ideen in anderen Ländern Nord- und Osteuropas gleichgesetzt.
Es gibt aber einen großen Unterschied, ob man es nun wahrhaben will oder nicht: Deutschland hat eine Lektion von der Geschichte erteilt bekommen, die ein Erstarken rechtsextremer – oder auch linksextremer – Ideologien eigentlich verhindern müsste. Aber wenn die Menschen teils ohne Bildung und teils mit dem Wissen längst in einer Diktatur des Geldes, des neoliberalen, grenzenlosen Kapitalismus zu leben, sich verarscht fühlen, dann sind sie schon mal offen für Extreme Ideen. Dabei berücksichtigen viele die „DDR-Lektion“, die erst 28 Jahre zurückliegt und vergessen die NSDAP-Lektion die Deutschland und Europa in Blut tränkte und in ein Trümmerfeld verwandelte. 1945 ist wohl einfach zu lange her…
Doch in Südeuropa hat man weniger Angst vor dem was eine AfD in der Opposition machen könnte, als vielmehr davor, was Angela Merkel, die CDU/CSU und die möglichen Koalitionspartner anstellen werden, um die an die AfD verlorenen Wählers
timmen wieder zurück zu bekommen. Es wird eine nationalegoistische Linie erwartet, um der erstarkten Rechten das Wasser abzugraben. Dazu kommt noch die Rückkehr der FDP in den Bundestag und mit Sicherheit auch in die Regierung. Neoliberale Politik vom Feinsten! Also haben wir bald eine neoliberale, ultrakapitalistische und in manchen Aspekten nationalegoistische Politik in Deutschland zu erwarten? Wenn sich die Grünen darauf einlassen, dann hat die Ökopartei fertig!
Lindner und seine Freunde im frankfurter Bankenviertel reiben sich schon die Hände und Schwarz-Gelb bereitet schon mal den Honig vor, den sie Özdemir um den Bart schmieren wollen. In Portugal fragte mich jemand, ob „Jamaika-Koalition“ daher komme, dass die Verhandlungspartner völlig bekifft sein müssen, um einen Koalitionsvertrag zu unterzeichnen. Ich tendiere dazu dies auch zu glauben. Man ist weitestgehend davon überzeugt, dass ein solches Bündnis, wenn es denn überhaupt zu Stande kommt, schon nach kürzester Zeit zum Scheitern verurteilt ist.
Neuwahlen machen aber erst Sinn, wenn eine Veränderung ein anderes Wahlergebnis erwarten lässt. Ein Rücktritt Angela Merkels wäre so ein neuer Faktor und auch bei den anderen Parteien sollte die Führungsspitze ausgetauscht werden, wenn es zu Neuwahlen kommen sollte… Dies ist aber eher eine persönliche Meinung. Dabei wäre eine Minderheitsregierung, die abwechselnd Kompromisse mit verschiedenen politischen Kräften vereinbart oder eine Allparteienregierung, eine Grundidee der Demokratie. Doch da Deutschland die Bezeichnung „demokratischer Rechtsstaat“ nicht wirklich verdient, wird es so eine Lösung wohl kaum geben. Armes fehlgeleitetes Deutschland….

PS: Danke Facebook für die Nichteinmischung in den Wahlkampf. War sicher nur Zufall, dass kleine kritische Nörgler gerade jetzt vom vielen Posten und Teilen ihrer Artikel eine Zwangspause von euch auferlegt bekamen… In diesem Sinne weiter so, die Konkurrenz freut sich.


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