Willkommen in der »Ein-Mann-Republik«

Präsident Erdoğan, Bild v Gerald CC 0 Pixabay Public Domain
Es war von Anfang an klar, dass die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 24. Juni das Schicksal der Türkei bestimmen werden. Jetzt ist Erdoğans Selbstbewusstsein stärker denn je; die Wahl in der ersten Runde für sich entschieden zu haben, hat ihn gestärkt und er nähert sich schnellen Schrittes seinen Zielen. Er spricht von einer »neuen Ära« und einer »neuen Türkei«.
Yücel Özdemir 19. Juli 2018
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Neues Leben/Yeni Hayat
Seine erste Handlung spricht Bände: Er widersprach der Bezeichnung »13. Staatspräsident« in der ihm vom Hohen Wahlausschuss ausgestellten Ernennungsurkunde. Er sei nicht der Nachfolger der früheren zwölf Präsidenten. In der korrigierten Urkunde steht nun »1. Staatspräsident der neuen Ära«.
Hinter diesem Einwand steckt sicherlich nicht nur der Versuch, sich von seinen Vorgängern abzuheben. Hauptsächlich geht es ihm darum, ein Zeichen zu setzen, dass sich in der Republik vieles ändern wird. Eine ähnliche Botschaft wurde auch bei der Amtseinführungsfeier gesendet. Man nutzte Zeichen und Symbole mit Bezug zur vorrepublikanischen Zeit, zur Zeit des Osmanischen Reiches und anderer historischer Staatsgebilde der Türken.
Unter Intellektuellen war in den 1990ern die Forderung nach der »Zweiten Republik« weit verbreitet. Damit brachte man die Sehnsucht nach einer Änderung des zentralistischen Staatsaufbaus und nach der Demokratisierung des Systems zum Ausdruck. Ein wesentlicher Teil der Verfechter dieser Veränderung hatten Erdoğan in dessen ersten Amtsjahren entschlossen unterstützt. Sie verbreiteten die Einschätzung, eine Abrechnung Erdoğans mit dem elitären kemalistischen Regime und mit der Armee würde die Republik reformieren. Doch im Laufe der Zeit wurde ihnen klar, dass Erdoğan die Republik nicht demokratisiert, sondern wie in ihren Gründungsjahren autoritärer gestalten wollte. Als sie ihre Unterstützung zurückzogen, war es bereits zu spät. Viele der Verfechter der »Zweiten Republik« fielen bei Erdoğan in Ungnade.
In der Tat bedeutet die Vereidigung Erdoğans am 8. Juli in vielerlei Hinsicht den Eintritt in eine »neue Ära«, die eine Rückwärtsentwicklung einleiten wird. Das Land wird nun in jeder Hinsicht vom Präsidentenpalast aus regiert. Das Parlament wird keine legislative Funktion mehr haben. Nach den Worten Erdoğans wird die Türkei »wie ein Unternehmen geführt«. Deshalb wurden die Minister nicht aus den Reihen der gewählten Parlamentarier ernannt, sondern aus den Reihen von Managern.
Erdoğan wird alles bestimmen und die von ihm ernannten Minister werden ihm nicht widersprechen dürfen. Jeder Beschluss aus dem Palast wird wie ein Sultan-Erlass gelten.
Diktaturen – Bild v Hans Harbig, Pixabay CC 0 Public Domain
Allein die Aufhebung des Ausnahmezustands, der seit dem 20. Juli 2016 verhängt und alle drei Monate verlängert wurde, und unter dem 130 000 Staatsbedienstete entlassen, 50 000 Menschen verhaftet, zahlreiche Zeitungen, Radio- und TV-Sender geschlossen, über 150 Journalisten, 70 000 Studenten und unzählige kurdische Politiker inhaftiert und Streiks verboten wurden, hat keine Bedeutung. Denn das neu installierte System entspricht einer Staatsordnung unter Ausnahmezustandsrecht.
Die für den 18. Juli angekündigte Beendigung des Ausnahmezustands dient nur der Imagepflege, weil die inzwischen getroffenen gesetzlichen Maßnahmen das offizielle Ausnahmezustandsrecht überflüssig machen.
Die Türkei steht also am Beginn einer neuen Ära. Offensichtlich sollen in dieser neuen Ära die demokratischen, laizistischen und sozialen Errungenschaften der Republik rasant beseitigt werden. Offenbar wird der parlamentarischen Opposition in dieser neuen Ära keine große Bedeutung zuteil. Jetzt wird es auf die Organisierung der außerparlamentarischen Opposition ankommen. Um zu verhindern, dass das Land von der »Ein-Mann-Republik« geführt wird, gegen die sich fast die Hälfte der Bevölkerung aussprach, wird die gesellschaftliche Opposition in jeder Hinsicht unumgänglich sein.
Übersetzung: Oktay Demirel

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