Portugal feiert 45 Jahre Nelkenrevolution – Feierstimmung? Nein, Streikstimmung!

Revolutionäres Symbol in Portugal, die Nelke - Autor Rui Filipe Gutschmidt CC 0 Lizenz

Der Tag der Nelkenrevolution, der 25. April, ist ein Feiertag in Portugal. Es war eine große Errungenschaft, als das Volk die Diktatur überwand und die Demokratie erringen konnte. Feierstimmung will aber nicht so recht aufkommen und das Land befindet sich im Dauerstreik. Zwischen 25. April und dem 1. Mai ist das revolutionäre Grundgefühl besonders präsent.
Rui Filipe Gutschmidt – 30. April 2019
Der 25. April 1974 war ein Tag, der nie vergessen werden sollte. Nicht nur Portugal entledigte sich an diesem Tag der faschistischen Diktatur, sondern andere Völker, Länder und Gesellschaften nahmen sich in der Folgezeit ein Beispiel an der (fast) unblutigen Revolution. Das „letzte große Kolonialreich“ entließ seine „Überseeterritorien“ in die Unabhängigkeit und beendete somit einen blutigen Krieg, der im Rest der Welt kaum Beachtung gefunden hatte.
Die Faschisten in Spanien, Griechenland und auch viele Diktatoren in den abfällig als „Bananenrepubliken“ bezeichneten Ländern, wurden entmachtet und durch mal mehr, mal weniger stabile Demokratien ersetzt. Mit einigen Jahren Verspätung kamen die „Flower-Power“-Bewegung, „Make love, not war“, Hippies, Pazifismus, Umweltschützer und die Erkenntnis, dass Südeuropa in Unwissenheit, Armut und totaler Rückständigkeit gehalten wurde.
In Portugal herrschte eine kleine Elite in einem System der Zensur, Bespitzelung und Unterdrückung. Die „Revolution“ begann aber mit einem Militärputsch auf mittlerer Offiziersebene. Die Hauptmänner konnten eine Radikalisierung verhindern und brachten so das Volk hinter sich. Ihr Motiv, neben dem Wunsch nach Freiheit und Demokratie, findet sich vor allem beim Krieg in den Kolonien. Angola, Mosambik und Portugiesisch Guinea, seit fünf Jahrhunderten in portugiesischer Hand und somit sehr „europäisiert“, waren diese afrikanischen Besitzungen seit Mitte der 60er Jahre in blutige Befreiungskriege verwickelt. Die Soldaten hatten es satt, für den Machterhalt einer elitären Oberschicht zu kämpfen, zu töten, verstümmelt zu werden oder zu sterben.
Wenn man sich also fragt, warum es heute, in einer Welt im Rückwärtsgang, keine neue Revolution gibt, dann muss man sich vor Augen führen was die Menschen vor 45 Jahren erleiden mussten um Folter, den eigenen Tod und Vergeltungsmaßnahmen an der Familie in Kauf zu nehmen. Für junge Soldaten konnte jederzeit der Marschbefehl nach Afrika kommen. Ein Vetter meines Vaters starb, langsam und unter großen Schmerzen an einem Bauchschuss in Portugiesisch Guinea (heute Guinea Bissau). Die Männer kamen oft im Sarg nach Hause oder verloren im afrikanischem Busch Gliedmaßen, ihren Verstand und auf jeden Fall ihre Unschuld.
Demos und Streiks sind keine Revolution
Dabei hat man heute auch Gründe genug, um ein System der Scheindemokratien zu ersetzen, das von Korruption durchsetzt und nach wie vor in den Händen der alteingesessenen Machtelite ist. Immer wieder beklagen Gewerkschaften, Aktivisten und Linke den Verlust der „Errungenschaften des April“. Mit jeder Mitterechts-Regierung ging wieder ein Stück Revolution verloren, selbst unter Regierungen der Mittelinkspartei PS wurden Abstriche gemacht, besonders nach „der Wende“.
Die Krise, die in Portugal die illegalen Machenschaften der Banker ans Licht brachte und der mehrere Geldinstitute zum Opfer fielen, brachte solch eine Minderheitsregierung der PS zu Fall und bescherte einer Mitterechts-Koalition einen Wahlsieg. Doch dieser kam durch unverschämte Propagandalügen zustande. Die Wahlversprechen, dass die Bürger nicht unter den Maßnahmen des IWF leiden müssten, es keine Renten oder Lohnkürzungen geben würde und dass die Troika den Staatshaushalt allein durch das Eliminieren vom „Fett des Staatsapparats“ sanieren würde, war… alles gelogen!
Mit der Begründung, die Kassen seien leer und das Land stünde vor einem eminenten Bankrott, machten Premierminister Pedro Passos Coelho (PSD) und sein Vize-Premierminister Paulo Portas (CDS), genau das Gegenteil von dem was sie im Wahlkampf versprochen hatten. Doch all die Einschnitte in den Sozialstaat, Bildung, Gesundheitswesen, Beamtenentlassungen, Gehalts- und Rentenkürzungen, sowie die ganzen Sparmaßnahmen, folgten der seit langem geplanten neoliberalen Agenda.
Die TROIKA war das Mittel, der Vorwand, die Ausrede für alle Fälle! Zwischen 2011 und 2015 wurde Portugal kaputt gespart. Aber nicht nur beim Staatsapparat wurde der Rotstift angesetzt. Aber das „wir haben kein Geld“ wurde durch die Milliarden, die Portugals neoliberale Lakaien in die „Bankenrettung“ steckte, ad absurdum geführt. Dabei handelte es sich allerdings – wie man heute weiß – eher um eine „Banker-Rettung“ statt einer „Bankenrettung“. Anleger der Pleitebank „BES“ (nach der Verstaatlichung der Schulden – Privatisierung der Gewinne – in NOVO BANCO umbenannt), warten noch immer auf die Rückerstattung ihrer Ersparnisse.
Privatisierungen, also das verscherbeln von allem was nicht niet- und nagelfest ist, war das andere Merkmal der Troika und der neoliberalen PSD/CDS-Regierung. Post, Nationaler Stromkonzern EDP, die TAP-Air Portugal und vieles mehr wurden an Investoren aus China, Frankreich und anderen Ländern verkauft und man scherzte schon, dass bald auch die eine oder andere Insel verkauft werde. Auch ohne Inselverkauf war die Zeit der Troika eine Katastrophe für das Land, noch mehr für die Bürger und auch für die Demokratie und Bürgerrechte waren diese 4 Jahre ein Rückschritt.

Revolutionäres Frühstück mit Nelke in Portugal – Autor Rui Filipe Gutschmidt CC 0 Lizenz

Linksregierung“ und trotzdem keine soziale Ruhe
Die letzten Wahlen brachten eine Mittelinksregierung an die Macht. Die Minderheitsregierung der PS unter Premierminister António Costa hat zwar die parlamentarische Unterstützung der Parteien zu ihrer linken BE (Linker Block), PCP (Kommunistische Partei) und PEV (Grüne), aber sie haben auch ein schweres Erbe angetreten. Im Gegensatz zur „Troika-Regierung“, die mit der Behauptung Portugal sei Bankrott, ihre Kürzungen und Einschnitte rechtfertigten, haben António Costa und seine Unterstützer aus allen linken Parteien tatsächlich ein kaputt gespartes Land vorgefunden.
Vom Gesundheitswesen, über das Bildungssystem bis hin zum Transportwesen, alle öffentlichen Dienste arbeiteten am Limit und Beamten, Angestellte und Arbeiter wurden ausgequetscht wie eine Zitrone! Eine Wiederherstellung der Verhältnisse von 2011 war das Ziel des linken Parlamentsbündnisses, wobei die Regierende PS gleichzeitig die Auflagen der EU und der Gläubiger erfüllen wollten. Die Stärkung der Kaufkraft hat den Binnenmarkt angekurbelt, Arbeitsplätze bringen mehr Einnahmen und weniger Ausgaben, die Wirtschaft erholt sich, aber die Arbeitnehmer- und Bürgerrechte, Löhne und Renten, die Qualität der öffentlichen Dienste, Steuern, Abgaben und Lebenshaltungskosten bewegen sich nur langsam auf Vor-Troika-Niveau zu.
Doch wer jahrelang Entbehrungen in Kauf nehmen musste und wer sieht, wie den Banken Milliarden in den Rachen geschoben werden, der verliert schnell die Geduld. Noch dazu glaubt jede Gewerkschaft, dass „ihre Klientel“ Vorrang haben sollte. Dabei spielen politische Gründe natürlich auch eine Rolle, da viele Gewerkschaften traditionell Verbindungen zu politischen Parteien haben. Die ständig streikenden Lehrer der FENPROF, sind – wie ein Großteil der Gewerkschaften – mit der Kommunistischen Partei Portugals (PCP) verbunden. Der Streik des OP-Personals, der dem öffentlichen Gesundheitssystem schwer geschadet hat und auch Leid, Schmerz und sogar Tot verursachte (auch wenn letzteres geleugnet wurde) kam von einer Gewerkschaft unter Einfluss der konservativ-neoliberalen PSD/CDS… Die Wahlen im Oktober werfen ihre Schatten voraus.
Aber es gibt auch gute Gründe für Proteste, Demos, Streiks, die keine politische Wahlkampagne und keine kleinkarierte egoistische Agenda verfolgen! Wenn man sieht, wie private Banken mit Steuergeldern gerettet werden, Millionäre immer mehr Millionen machen und „Les Miserables“ immer mehr Misere erleiden müssen, dann ist der revolutionäre Gedanke nicht fern. Doch alles in allem geht es in Portugal seit vier Jahren in die richtige Richtung, wobei man aber noch lange nicht von sozialer Gerechtigkeit reden kann. Zu Recht wird die Unterwürfigkeit gegenüber der EZB und der Gläubiger im allgemeinen kritisiert. Im europäischen Vergleich müssen sich die Portugiesen jedoch keine Sorgen machen. Franzosen, Iren (Brexit/Nordirland), Niederländer, Griechen, Spanier (Katalanen) und viele andere Europäer, haben weitaus bessere Gründe, um auf die Straße zu gehen, auch wenn all das eher von subjektiven Gefühlen abhängt.
Wenn es nicht gelingt, die Allmacht der Banker, Investmentfonds, Großkonzerne und Wirtschaftsbosse mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln zu brechen, dann wird es mit „dem Druck der Straße“ geschehen… oder wieder mit Nelken.

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