ROTER MORGEN, 3. Jg., Juli/August 1969
Die Preiswelle beginnt: am 1. Juni machte die Erfrischungsgetränkeindustrie (COCA-COLA und Konsorten) frisch und fröhlich den Anfang mit „fruuuchtigeren“ Preisen. So etwas wirkt natürlich auf die Massen: „Wenn die einen erstmal anfangen, dann kommen die anderen bald hinterher“, sagt sehr richtig die Hausfrau im Laden. Es wirkt nicht gut für die Bourgeoisie.
ZEITDOKUMENT vom 15. Juni 1969 – wiederveröffentlicht am 21. Juli 2019
zur Verfügung gestellt von Die Welt vor 50 Jahren
Also schickt sie BILD AM SONNTAG an die Front. WER DURST HAT, SOLL BETROGEN WERDEN! Schreit die erste Seite. Das ist fast richtig, aber auch nur fast: „Wer Durst hat“ (und wer Hunger hat, und wer eine Wohnung braucht, und wer Kleidung braucht usw.), der ist im Kapitalismus immer schon betrogen. Springer tut dagegen so, als ginge es auch anders, als wären bestimmte, bösartige Individuen daran schuld. „Zwar erhöhen die großen Getränkefirmen von heute an im Laufe des Monats Juni die Preise für Mineralwasser und Erfrischungsgetränke. Aber nur – nach Flaschengröße – von eins bis vier Pfennig. Der Verbraucher müßte also nur vier bis sechs Pfennig mehr zahlen. Doch was machen gewinnsüchtige Gastwirte? Sie drehen an der Preisschraube für den Durst.“
So BILD AM SONNTAG. Also: daß die grossen Getränkeproduzenten, die MONOPOLE, die Preise erhöhen, das ist normal, das wird gar nicht erst diskutiert (wie sollte es auch: Springers Monopol hackt den anderen Monopolen kein Auge aus: man braucht ja ihre Anzeigen!) – schuld sind die kleinen „gewinnsüchtigen“ Gastwirte (monopole sind nie „gewinnsüchtig“, sie können nur „gestiegene Lohnkosten durch Rationalisierung nicht mehr auffangen“). Gegen diese Gastwirte sucht BILD AM SONNTAG die Wut der Massen zu richten: BEKÄMPFT DIE PREISTREIBEREI! Fordert es seine Leser auf und meint damit – die Gastwirte!
Die Arbeiter haben aber keine Zeit und kein Geld dazu, sämtliche Wirthäuser zu besuchen, um die „Preistreiber“ zu finden. Sie wissen schon, wo die stekken. Und sie verwenden deshalb ihre kostbare Zeit, dort zu kämpfen, wo es sich lohnt: in den Betrieben, in denen sie arbeiten, gegen ihre eigenen kapitalistischen Bosse, die alle samt unter einer Decke stecken!
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