Brasiliens Ex-President Lula da Silva ist auf freiem Fuß – Beschluss des Obersten Gerichtshofs erklärt Haft für Verfassungswidrig

Lula Livre - Die Arbeiterpartei PT des Ex-Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva feiern seine Freilassung

Ein Beschluss des Bundesgerichtshofs (STF) hat am Donnerstag entschieden, dass die Vollstreckung eines Urteils erst nach dem endgültigen Urteil erfolgen kann. Mehr als 4.500 Menschen müssen freigelassen werden und Lula da Silva ist einer von ihnen. Doch was bedeutet das in der Praxis?

Rui Filipe Gutschmidt – 9. November 2019

Der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Dias Toffoli, gab den Ausschlag, als er mit seiner Stimme das Ergebnis von sechs Ja-Stimmen gegen fünf Nein-Stimmen für die Revidierung des Beschlusses von 2016 entschied. Mit dem Urteil kann niemand inhaftiert werden, um mit der Verbüßung einer Strafe zu beginnen, bis alle möglichen Rechtsbehelfe im Strafverfahren, einschließlich der höheren Gerichte, geprüft wurden. Laut der Zeitung „Estadão“ sind ungefähr 4.800 Gefangene in dieser Situation.

Lula da Silva bei seiner letzten Ansprache in Freiheit – screenshot YouTube

Mit dieser Änderung werden nach Angaben der Bundesanwaltschaft 38 Verurteilte im Rahmen der Lava Jato, der größten Antikorruptionsoperation in Brasilien, vorübergehend auf freien Fuß gesetzt. Unter ihnen ist der frühere brasilianische Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva, der seit April letzten Jahres inhaftiert war (580 Tage) und gestern von einer jubelnden Menschenmenge bei seiner Freilassung empfangen. Er wurde inhaftiert, nachdem er in zweiter Instanz im Fall einer Luxuswohnung in der Stadt Guarujá an der Küste des Bundesstaates Sao Paulo verurteilt wurde. Lulas Anhänger und auch er selbst sind davon überzeugt, dass man damals das Gesetz geändert hat, damit er nicht zu den Wahlen antreten konnte.
Für den ehemaligen Richter Sérgio Moro, der Lula da Silva verurteilte und der jetzt Justizminister unter Präsident Jaír Bolsonaro ist, gilt dieser Beschluss als klare Niederlage. Wer die Situation in Brasilien betrachtet, der sieht keinen großen Unterschied zwischen der Luxuswohnung, die von der Baufirma OAS zur Belohnung für großzügige staatliche Aufträge dem Herrn Lula da Silva zur Verfügung gestellt wurde und dem Posten als Justizminister, den der neue Präsident Jaír Bolsonaro als Belohnung für das „eliminieren“ des Präsidentschaftskandidaten Lula, dem Richter Sérgio Moro gab.
Doch in Brasilien ist die Spaltung der Gesellschaft so tief, dass alles geleugnet wird, was das eigene Lager – Rechts oder Links – in irgendeiner Weise kompromittiert. So ist Lula für die Mehrheit der Linken und insbesondere für die Arbeiterpartei (PT=Petistas) nicht nur unschuldig, sondern sogar ein Märtyrer, ein Held… Selbst die, die wissen was in den Korridoren der Macht für miese Geschäfte gemacht werden, tun so als gäbe es das nur bei den anderen.
Lula Livre – Die Anhänger des linken Ex-Präsidenten L. I. Lula da Silva feiern seine Freilassung

Jedenfalls ist Lula nicht „Frei“. Auch muss niemand Angst haben, dass auf einmal irgendwelche Schwerverbrecher auf freien Fuß gesetzt werden und die Bevölkerung tyrannisieren. Die bis zu 4.800 Menschen, die auf Grund eines Urteils in zweiter Instanz inhaftiert wurden, dürfen nun bis zur Verkündung des endgültigen Urteils in Freiheit verweilen. Es ist also weder ein Freispruch, noch eine Unschuldserklärung. Die Verurteilung von Ex-Präsident Lula da Silva ist aber nach wie vor wahrscheinlich und somit gibt es keinen Grund zum feiern.
Warum also der ganze Trubel? Weil bewiesen wurde, dass man die Justiz instrumentalisiert hat um die Wahlen zu beeinflussen. Man sollte dabei nicht vergessen, dass ein Angeklagter in den meisten demokratischen Ländern seine Haft erst dann antritt, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden und jeder Zweifel an der Schuld des Angeklagten ausgeräumt wurde. „In dubio pro reo“, so heißt es im schönsten Justizlatein, also „im Zweifel für den Angeklagten.“
So sollte man die juristischen Folgen nicht überbewerten, die einfach die Wiederherstellung der alten Interpretation der brasilianischen Verfassung zur Basis hat. Während dessen sind die politischen Folgen nur schwer einzuschätzen. Die Freilassung Lulas wurde jedenfalls im großen Stil mediatisiert. Ob dies dem Ex-Präsidenten Lula oder doch eher dem aktuellen Präsidenten Bolsonaro zu Gute kommt sei dahingestellt. Doch es ist auf jeden Fall ein weiterer Schnitt in der sowieso schon tiefen Wunde, die durch die Gesellschaft Brasiliens geht.
Wenn man einen Brasilianer aus dem rechten Lager, meist aus der Mittel- oder Oberschicht, fragt, dann wird die Korruption und die Kriminalität als das große Problem des Landes gesehen. Fragt man einen Linken, meist aus der Unterschicht stammend oder aus der im Staatsdienst arbeitenden (meist neuen )Mittelschicht, so wird der soziale Gegensatz und die ungerechte Verteilung als Hauptproblem angesehen. Beide haben Recht und beides ist zutreffend. Doch während viele „Linke“ sich bereichert haben als sie an der Macht waren, erhalten sich gerade die Rechten ihre Privilegien in dem sie eben diese „Linken“ in eben dieser Regierungszeit korrumpiert haben.
Wie immer versteckt sich hinter jedem Korrupten einer, der diesen korrumpiert. Denn die Korruption hat IMMER zwei Seiten und die großen Konzerne, oft aus den USA, der EU oder China, erkaufen sich seit jeher Marktvorteile, indem sie die Entscheidungsträger bestechen. Wer die Korruption wirklich bekämpfen will, der darf sich nicht einzig auf die Politiker stürzen, um damit den politischen Gegner zu diskreditieren (oft nur um selber die Hand aufhalten zu können), sondern muss auch den Korrumpteur verurteilen.

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