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Rui Filipe Gutschmidt – 25. März 2020
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In Portugal wurde inzwischen auch der Ausnahmezustand verhängt. Die Regierung hat damit der Polizei mehr Macht übertragen und Bürgerrechte (Menschenrechte) eingeschränkt, obwohl bislang die Ausgangssperre nicht total ist. In der Praxis herrscht vielerorts Willkür, Preiswucher und eine surreale Mischung aus Solidarität einerseits und missbräuchliche Bereicherung, andererseits. Die Worte des Premierministers António Costa werden von jedem anders interpretiert, wodurch es zu Konflikten kommt.
Der Ausnahmezustand in Portugal wurde schon als „Light“ bezeichnet, da man gleichzeitig die Menschen vor dem Virus und vor den sozialen Auswirkungen schützen will. Die „goldene Mitte“ zu finden ist aber nicht so leicht. Denn kaum ist das Land in einer Krise und schon entsteht Streit darüber wer mehr staatliche Hilfe bekommen soll und wie man sein Leben ohne grössere Einkommensverluste bestreiten kann. Manche nutzen diese Zeit der Not, um möglichst viel Profit zu machen. Von Spekulation bis hin zu kleinen oder auch großen Betrügereien, gibt es wie bei jeder Krise Leute, die die Not der Menschen ausnutzen.
„Das Land kann nicht einfach anhalten…“, sagte Premierminister António Costa, als er die Maßnahmen bekannt gab, die mit dem Ausnahmezustand einhergehen. Es ist ein nie dagewesener Zustand in dem Land, dass seit 1974 demokratisch regiert wird und wo die Staatsbürgerrechte hochgehalten werden. Fast der gesamte Handel ist geschlossen, mit Ausnahme von Supermärkten, Apotheken, Bäcker, Metzger und Kioske. Restaurants arbeiten nur als Take-Away oder Lieferservice und in den Geschäften darf sich immer nur ein Kunde pro 25 m² aufhalten. Menschen sollen zwischen 1,5 und 2 m voneinander Abstand halten und nur auf die Straße gehen wenn es sich nicht vermeiden lässt.
Noch nie war Portugal so sauber…
Die portugiesischen Hausfrauen, die eine traditionelle Erziehung erhalten haben, bezeichnen sich selbst als „die reinlichsten Frauen der Welt“. Naja, ist ein Überbleibsel aus der Diktatur. In Wahrheit darf man nicht unter den Teppich schauen und nicht die Hygiene ist das Ziel der „Reinlichkeit“, sondern einzig der „schöne Schein“. Doch jetzt hat sich das geändert. Überall wird geputzt, geschruppt und desinfiziert. Es riecht nach Putzmitteln, nach Alkohol, Chlor und Essig, alles glänzt, ist sauber. Die Menschen tragen Handschuhe, Masken und haben Alkohol als Gel oder auch in flüssiger Form dabei.
Doch dieser Desinfektionswahn führt mit Sicherheit zu unzähligen Allergien. Bakterien, Pilze, Einzeller aller Art leben überall. Auch unser Körper ist voller Keime, insbesondere die Haut, das Verdauungssystem, Schleimhäute und Atemwege, wobei die allermeisten Mikroorganismen harmlos oder sogar nützlich sind. Es ist nicht nötig, wenn wir abgeriegelt in unserer Wohnung sind, dass wir uns alle fünfzehn Minuten die Hände waschen oder mit Handschuhe und Chirurgenmaske herumlaufen. Der Nutzen von Masken und Handschuhen hängt von der korrekten Anwendung ab.
Aber es ist trotzdem gut und richtig, dass die Desinfektion von Oberflächen, das regelmäßige Händewaschen und die Hygieneprotokolle durchgeführt werden. Die meisten halten sich auch mehr oder weniger an die neuen Regeln und man bemüht sich das Beste aus der Situation zu machen. Dabei gibt es leider auch welche, die sich „zu gut“ angepasst haben. Kleine Fläschchen (0,5 L) Alkohol werden zu 20 € (Normalpreis 1-2,5 €) oder Masken und Handschuhe ebenfalls zum zehnfachen Preis, angeboten.
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Die Nutznießer der Krise
Aber neben dem offensichtlichen Wucher gibt es kleinere Preissteigerungen, die bei den derzeitigen Einkommensverlusten eine große Auswirkung auf die Haushaltskasse haben. Man sieht sehr schnell, wer noch Geld hat und wem der Virus, auch ohne infiziert zu sein, die Luft zum atmen nimmt. Wenn nicht schnell Hilfe vom Staat kommt, dann wird sich die Lage noch weiter verschlimmern.
„Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze! Das ist die Priorität unserer Regierungsarbeit.“ António Costas Worte hörten sich zwar gut an, aber in der Praxis haben vor allem große Unternehmen sofort mit Entlassungen reagiert. Wer kurze Arbeitsverträge hatte und wer noch innerhalb der „Probezeit“ war, wurde kurzerhand auf die Straße gesetzt. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass die Erteilung staatlicher Hilfen davon abhängt, dass der Bittsteller niemanden entlassen hat. Erste geplante entlassungen wurden schon zurückgenommen.
Während die meisten Menschen große finanzielle Verluste und Einbußen in ihren Einkommen erleiden, nutzen einige die Krise, um sich zu bereichern. Die Pharmaindustrie und der respektive Zwischenhandel verdienen sich eine goldene Nase und so kann sich kaum noch einer die Schutzmassnahmen leisten, der jetzt ohne Arbeit zuhause sitzt und keine Nebeneinkünfte hat. Im Einzelhandel steigen Preise für Brot, Getränke, Lebensmittel aller Art und Hygieneprodukte, wobei diese Preiserhöhungen nur gering ausfallen. Trotzdem ist es für den sowieso schon eng geschnalten Gürtel vieler Haushalte zu viel!.
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Was ist mit den Banken?
Für die Menschen in Portugal, die 2011-2015 unter dem Regime der Troika und dessen Schergen – der konservativ-neoliberalen PSD/CDS Koalitionsregierung Pedro Passos Coelho/Paulo Portas – leben mussten und auf deren Kosten die korrupten und betrügerischen Banker des Landes ihren Reichtum schützten und ihre Pleitebanken vom Staat (also vom „Steuerzahler“) retten ließen, ist die Forderung nach einer Beteiligung der Banken an der Aufrechterhaltung der Wirtschaft und einer Minimierung der Schäden durch die COV-19 Krise, eine Frage der Gerechtigkeit. Das Volk half den Banken, die Banken müssen dem Volk helfen. Freiwillig macht das aber kein Banker.
Doch wenn die Banken nur als „Vermittler“ der staatlichen Kreditlinien für Unternehmen dienen wollen und auch noch Zinsen und Spread von bis zu 4 Prozent verlangen, dann muss der Staat dafür sorgen, dass die Banken an ihre sozialen Pflichten erinnert werden. Catarina Martins vom Linken Block drückte es so aus: „Wenn es für die Regierung einfach ist die Restaurants und Cafés zu schließen, dann dürfte es auch nicht schwer fallen die Banken an ihre sozialen Pflichten gegenüber den Portugiesen zu erinnern, die noch vor wenigen Jahren für die Rettung der Banken leiden mussten.“ Wenn die Banker sich aber quer stellen, dann sollte es genauso einfach sein die Banken zu zwingen ihren Beitrag zu leisten oder sogar zu verstaatlichen. Eine Maßnahme, die 2011 schon durchgeführt werden sollte.
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Demokratie und Menschenrechte – wie weit darf der Staat gehen?
Im Umgang mit dieser Pandemie hat jedes Land anders reagiert. Dabei fällt auf, dass totalitäre Regierungen mehr Erfolg beim Eindämmen des Virus zu haben scheinen als Demokratien. Allgemeine Ausgangssperren wurden aber auch in Spanien oder Portugal verhängt – und in Italien als es zu spät war. Die Demokratie kann in Europa nicht einfach auf Eis gelegt werden, da die Menschen es nicht gewohnt sind alles was von oben angeordnet wird bedingungslos zu akzeptieren. In China halten sich die Menschen rigoros an die Anweisungen der Regierung und in Portugal gehen die Leute trotzdem joggen oder fahren ans Meer.
Doch in Portugal haben weit über 80 Prozent die Notwendigkeit der drastischen Maßnahmen akzeptiert und viele weitere halten sich zähneknirschend daran, da die Polizei ständig auf der Straße ist. Man respektiert die Mehrheit und macht was notwendig erscheint um sich und andere zu schützen. Dabei muss man sich aber immer vor Augen halten, dass die Demokratie und die damit einhergehenden Menschenrechte nur teilweise ausgesetzt wurden. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen.
So steht derzeit die Solidarität und das Allgemeinwohl vor den individuellen Rechten und selbst die allmächtigen Wirtschaftsbosse müssen sich den Tatsachen gegenüber beugen. Als verantwortungsbewusste Staatsbürger müssen wir darauf achten, dass die Demokratie und die Rechte der Arbeiter nicht für immer verschwinden und auch die Gesellschaft als solche sich nach der Krise neu ausrichtet und dem Kapitalismus einen Riegel vorschiebt. Wir haben jetzt Zeit. Nutzen wir diese, um eine neue Gesellschaft auf Basis der Solidarität zu errichten.
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