Heinz Michael Vilsmeier – 24. Juni 2020, übernommen von Roter Morgen
Der Stuttgarter Polizeipräsident macht die „Party- und Eventszene“ für die Randale verantwortlich. – Weiß er eigentlich, wen er meint? – Vermutlich nicht, ich hab da gewisse Zweifel. Dass er mit seiner Aussage den Eindruck erweckt, es handle sich um eine abgrenzbare Gruppe, ist irgendwie einfach dumm. – Prompt erklärt die unter Generalverdacht gestellte Club-Szene: „Wir sind es nicht gewesen!“
Die „Bild“ titelt von Schande und kolportiert, die Randalierer hätten „Allahu Akbar“ gerufen – selbstverständlich, ohne diese Behauptung unter Beweis zu stellen. Das ist nur deswegen erwähnenswert, weil sie damit den Rechten eine Steilvorlage liefert. Das Fehlen jeglicher Beweise für ihre Behauptung stört die Schreiber der „Bild“ keineswegs. Hauptsache, sie haben einen Zusammenhang zwischen dem Gewaltausbruch vom letzten Wochenende, wie er sich auf Stuttgarts Straßen ereignet hat, und muslimischen Migranten hergestellt und damit den Rassisten wiedereinmal ein Stichwort gegeben. Diese greifen die Berichterstattung des Schmierenblattes auf und verbreiten das Narrativ in den Sozialen Netzwerken weiter… Damit war zu rechnen.
Tatsache ist: Wir haben noch gar nicht begriffen, was da eigentlich passiert ist, in der Nacht von Samstag auf Sonntag, als in Stuttgarts Innenstadt Schaufenster zu Bruch gingen und die Gewalt sich gegen die vor Ort anwesenden Repräsentanten des Staates richtete. Dennoch sind viele schon dabei, eine vermeintliche Tätergruppe dingfest zu machen und härteste Bestrafung zu fordern: „Kriminelle“ seien es gewesen, wie man hört… – Stimmt das?
Auch wenn die Zerstörung von Schaufensterscheiben, die Plünderung von Läden und die Gewalt gegen Polizisten zweifellos kriminelle Handlungen sind, bedeutet dies keineswegs, dass die Akteure per se Kriminelle sind. Kriminelle sind bekanntlich Mörder, Gangster, notorische Gesetzesbrecher und Kapitalverbrecher, nicht zu vergessen jene, die mit weißen Krägen und in Nadelstreifen Millionen beiseite schaffen. Kriminelle sind Leute, bei deren Taten die Umstehenden, anders, als es nun in Stuttgart teilweise der Fall gewesen ist, eben nicht applaudieren. Genau das aber ist passiert, wie man auf den vielen Handyvideos, die im Netz kursieren, sehen kann.
Fritz Kuhn, der Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, wurde nicht müde zu betonen, die jungen Menschen auf den Straßen Stuttgarts hätten in den letzten Wochen geradezu eine gewisse Festivalstimmung hergestellt. Man hätte das einfach einmal erleben müssen, sagte er. Geradezu südländisch sei das Flair gewesen, das diese Menschen verbreitet hätten.
Kuhns Narrativ wird vielfach von Anderen bestätigt. „Junge Menschen“ hätten den öffentlichen Raum erobert, wird berichtet, nachdem aufgrund der Corona-Gefahr immer mehr Einschränkungen wirksam geworden seien, unter anderem die Schließung der Clubs, in denen normalerweise die Mehrheit einer größtenteils apolitischen, vergnügungs- und konsumorientierten Jugend ihre Feier-Zeit verbrachte. Dass dabei schon immer Alkohol und Drogen im Spiel gewesen sind, ist ein offenes Geheimnis.
Und da kamen einige fleißige Polizisten auf die Idee, mal nach dem Rechten zu sehen…? Keine gute Idee. Sie hätten ebenso gut nach Mallorca reisen können, um zu kontrollieren, wer dort, nur um wieder einmal völlig enthemmt abzufeiern, schon wieder Alkohol und Drogen konsumiert. Aber Mallorca geht ja nicht, nachdem die Flieger weitgehend noch immer am Boden herumstehen, statt tausende deutscher Normalos nach Ibiza und Malle zu karren, damit sie dort die Sau rauslassen können.
Wer „die Party- und Eventszene“ an den Pranger stellt, sollte sich klar machen, dass er damit niemand geringeren beschuldigt, als eben diejenigen, von der eine ganze Tourismus- und Freizeitindustrie lebt. Verbraucher sind auf Spaß getrimmt und dazu brauchen sie nun mal ihre Lieblingsdrogen. Ohne die geht gar nichts. Und da kommt eine dienstbeflissene Polizeistreife auf die Idee, mal ordentlich nach dem Rechten zu sehen und dazwischen zu funken? – Schlechte Idee, wie gesagt. Das Ergebnis lässt sich mit verwunderten Augen bestaunen – und natürlich auch die ach so bösen Täter: Nun stellt sich heraus, dass die vermeintlich „Kriminellen“ nichts anderes sind, als Jugendliche, die gerne abhängen und feiern und die in diesen Coronazeiten finden, sie hätten sowieso nichts zu lachen. Das macht eben ein wenig aggressiv. Insofern sind die Jungen nicht anders als ihre Eltern, die nunmehr schon seit Jahrzehnten nach Mallorca reisen, um sich dort gehen zu lassen. Die Jungen wollen sich das Feiern partout ebenso wenig nehmen lassen, wie ihre Eltern. – Ich glaube, mehr ist dazu nicht zu sagen.
… Ach ja, und was die Bild-Zeitung anbelangt: die ist nicht in der Lage, auch nur ansatzweise zu begreifen, was sich auf Stuttgarts Straßen ereignet hat. Darum geht es ihr vermutlich auch gar, denn die Bild-Zeitung ist ein Blatt, was vor allem Meinungen prägen will, statt Informationen zu verbreiten. Hauptsache sie kann wieder einmal hetzen und Zwietracht säen, indem sie behauptet Dinge gehört zu haben, die sonst niemand gehört hat.
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