Redaktion – 14. Juli 2020, übernommen von Roter Morgen
Das Volk Kurdistands blutet! Zehntausende politische Gefangene sitzen in den Gefängnissen der türkischen Faschisten. Tagtäglich sterben kranke Gefangene. Wir dokumentieren ein Statement der ehemaligen politischen Gefangenen und HDP Abgeordneten Leyla Güven über die aktuelle Lage und deren Hintergründe:
„In unserem politischen und historischen Kontext ist es von äußerster Notwendigkeit ein Teil der kurdischen Widerstandsbewegung zu sein!
Der 15. Februar: die Entführung Abdullah Öcalans hat sich in das kollektive Bewusstsein der Kurden eingebrannt. In der Person Abdullah Öcalan und seiner Festnahme durch einen internationalen Komplott sollte die kurdische Gesellschaft aus der Geschichte gelöscht werden.
Es gab die Erwartungshaltung, das mit der Festnahme Öcalans die gesamte kurdische Bewegung zerbricht. Dieser Ansatz des türkischen Staates hat die seit Jahrzehnten von der kurdischen Gesellschaft geschaffenen Werte, Mühen und Bestrebungen außer Acht gelassen. Abdullah Öcalan hat sich viele Jahrzehnte für die friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage eingesetzt. Bereits seit den 90ern hat sich Öcalan direkt an türkische Staatsvertreter gewandt, um eine Plattform der Diskussionen zu schaffen, unter anderem auch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Özal. Er appellierte, dass eine militärische Auseinandersetzung für beide Seiten keine Lösung sei und man sich deswegen auf eine friedliche Einigung einlassen müsse. Dies fand in der türkischen Politik keine Resonanz. Diejenigen, die auf die Appelle einzugehen bereit waren, wurden aus dem Weg geräumt.
Auf der Gefängnisinsel Imrali hatte Öcalan die Gelegenheit seine bislang bewusst unbeachteten
Ideen und Vorschläge zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage, zu vertiefen und ein neues
Paradigma zu entwickeln. Er hat die These der „demokratischen Republik“ entwickelt. Wenn diese
These wirklich Gehör finden würde, wäre die Freiheit aller gesellschaftlichen Gruppen in einer
Republik gewährleistet. Er hat in seinen Verteidigungsschriften seine Ideen tiefgehend erklärt und
auch in seiner Erklärung zu Newroz im Jahre 2013 hat er uns seine Vorstellungen konkret
mitgeteilt. Öcalan ist trotz all seiner friedlichen Bemühungen einer langanhaltenden Isolation
ausgesetzt. Gespräche obliegen ausschließlich der Willkür des Staates.
Die kurdische Gesellschaft hat auf verschiedene Art und Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie diese Herangehensweise an Öcalan nicht akzeptieren werden. Als es Meldungen über seine mögliche Vergiftung gab haben Kurden in allen Teilen Kurdistans und der Diaspora protestiert. Gegen die Isolationspolitik gibt es einen kontinuierlichen Protest der Gesellschaft. Es gab eine Vielzahl von Selbstverbrennungen gegen das Internationale Komplott vom 15. Februar und die Isolationspolitik. Dabei wurde erklärt, dass es sich bei Öcalan nicht nur um eine Person, sondern die Repräsentation und Führungsfigur der kurdischen Gesellschaft handelt.
Im Jahr 2018 intervenierte die Türkei in den nordsyrischen Kanton Afrin. Ich selbst war zu der Zeit
die Ko-Vorsitzende vom Demokratischen Gesellschaftskongress (DTK). Wir verurteilten diese
Besatzung. Ich wurde für diesen Protest verhaftet und im Gefängnis von Diyerbakir inhaftiert. Zu
dieser Zeit gab es erneut eine starke Repression gegen die HDP. Die Immunität von HDP-
Abgeordneten wurden aufgehoben, kurdische Gemeinden wurden unter Zwangsverwaltung gestellt,
kurdische Institutionen wurden geschlossen, die kurdische Presse wurde zensiert, zehntausende
Aktivistinnen und Aktivisten wurden inhaftiert. Es war ein Verbrechen Sympathisant der HDP oder
der Frauenbewegung zu sein.
Auch die Delegierten des DTK wurden festgenommen. Ich begann im Gefängnis diese Situation zu reflektieren und nachzudenken wo unsere Fehler lagen. Konnte es sein, dass wir die Repression die nichts anderes ist als eine Kolonialpolitik nicht richtig definierten? War unsere Politik zu unwirksam? Infolge dieser Überlegungen kam ich zu der Entscheidung eine Aktion zu beginnen. Ich dachte dabei nicht als Einzelperson, sondern an die Bedürfnisse unserer politischen Partei und Gesellschaft. So organisierte ich den Hungerstreik. Ich dachte zu Anfang daran diese Aktion als Todesfasten am 14. Juli zu starten. Doch mein Gerichtsverfahren begann nicht im Juli, sondern im November. Am 7. November entschied ich mich als kurdische Frau und Ko-Vorsitzende des DTK diese Aktion zu deklarieren um meine Haltung gegen die Isolationspolitik auf der Gefängnisinsel Imrali zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine Welle von Hungerstreik-Aktionen weltweit losgetreten. Eine klare Botschaft wurde auf diese Weise vermittelt: Beendet die Isolation gegen Öcalan, der als einziger eine Lösung der kurdischen Frage in die Wege leiten kann. Durch diese Aktionen gab es mehrere Besuche bei Öcalan. Die Erklärungen von Öcalan hatten großen Einfluss auf die kurdische Gesellschaft. Er brachte erneut die Verantwortung aller Beteiligten für eine Lösung der Frage auf den Tisch. Der Staat war nun an der Reihe zu handeln und eine neue Phase der Verhandlungen einzuleiten. Trotz dessen gibt es keinen neuen Willen des türkischen Staates für eine Lösung.
Gegenwärtig gibt es zehntausende politische Gefangene. Tagtäglich sterben kranke Gefangene. Trotz der Corona-Pandemie wurden keine politischen Gefangenen entlassen. Wer die politische Lage in einem Land einschätzen möchte, sollte sich dafür die Situation in den Gefängnissen anschauen. Wir sehen hierbei eine Vielzahl von Menschenrechtsverbrechen in den Gefängnissen. Politische Gefangene sind der politischen Willkür ausgesetzt. Jede Kampagne für politische Gefangene ist in diesem Sinne bedeutend. Wir müssen diese stärken. Wir, müssen die Stimme der politischen Gefangenen sein. Wir messen der in Europa begonnen Kampagne große Bedeutung bei und glauben daran, dass auf diesem Wege die Türen zu den Gefängnissen geöffnet werden.“
Leyla Güven,
HDP-Abgeordnete und Ko-Vorsitzende des DTK
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Roter Morgen steht an der Seite des kämpfenden kurdischen Volkes und wird weiter darüber berichten!
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