Rui Filipe Gutschmidt – 17. Januar 2021
Die Brasilianer haben einen „Panelaço“ veranstaltet, den Präsident Jaír Bolsonaro und die Mitglieder seiner Regierung in der Hauptstadt Brasilia hören mussten. Das Töpfe klopfen ist ein unmissverständlicher Aufruf an die Verantwortlichen in Brasilia, endlich das Feld zu räumen. Die Menschen in Brasilien, insbesondere in Manaus, sterben nicht allein an SARS-Cov-2, sondern vor allem an fehlendem Sauerstoff, medizinischem Gerät und mangelndem Personal. Sie sterben durch Inkompetenz der Regierung!
Die beispiellose Krise im Amazonasgebiet entfachte eine Praxis, die zu Beginn der Pandemie, bei den Protesten gegen die Bolsonaro-Regierung populär wurde. Der „Panelaço“, der am Freitag um 20:30 Uhr Ortszeit in Manaus stattfand, begann bereits einige Minuten zuvor in einigen Teilen der Stadt São Paulo. Es gab auch Demonstrationen in Brasília, Rio de Janeiro und Fortaleza.
Am Freitag gab es eine Mobilisierung in sozialen Netzwerken, um die Proteste zu organisieren. Diese wurden durch die dramatischen Zustände in den Krankenhäusern im Bundesstaat Amazonas ausgelöst. In Millionenstädten wie Rio de Janeiro, São Paulo oder Brasília gingen am Freitagabend zahlreiche Menschen ans Fenster und auf ihre Balkone, schlugen mit Löffeln auf Töpfe und riefen „Bolsonaro, tritt zurück“. Schon Mitte 2020, auf dem Höhepunkt der ersten Welle der Pandemie, hatte es ähnliche Proteste gegeben.
Im Bundesstaat Amazonas, der im verarmten Nordwesten Brasiliens liegt, war das Gesundheitssystem schon im vergangenen April und Mai zusammengebrochen. Die Bilder der vielen Toten, die in Massengräbern bestattet werden mussten, wiederholen sich derzeit leider und unter den steigenden Infektionszahlen kollabiert das Gesundheitssystem. Die Intensivstationen sind voll, viele Kliniken haben bereits keinen Sauerstoff zur Beatmung schwer kranker Patienten mehr. Betroffen sind nicht nur Corona-Patienten, sondern etwa auch zu früh geborene Babys.
Berichte über erstickende Patienten und verzweifelte Angehörige, die selbst Sauerstoffflaschen für kranke Verwandte in die Kliniken bringen, sorgen im ganzen Land für Entsetzen. In Manaus, der Hauptstadt von Amazonas, standen am Freitag dutzende Menschen Schlange, um Sauerstoff zu ergattern. „Diese hier ist für meine Oma“, sagte ein Mann, der eine riesige grüne Sauerstoffflasche mitnahm.
Mit mehr als 208.000 Toten ist Brasilien nach den USA das am schwersten von der Corona-Pandemie betroffene Land der Welt. Der rechtsextreme Präsident Bolsonaro, der wegen seines Krisenmanagements seit Monaten in der Kritik steht, hat die Gefahr durch das Virus stets heruntergespielt und zuletzt auch immer wieder Zweifel an Impfungen geäußert.
Die neue Welle des Topflärms drückt die Empörung über das Missmanagement von Jair Bolsonaro in der Pandemie aus. Es ist eine Form die die Opposition und ein Teil der Zivilgesellschaft fand, um die Regierung für die chaotische Hygienesituation im Land verantwortlich zu machen. Der politische Ausgang zur Bestrafung der Regierenden im Planalto, die Amtsenthebung, bleibt im Kongress blockiert. Trotz des jüngsten kriegerischen Tons des Bürgermeisters Rodrigo Maia gegen Bolsonaro weigerte sich der DEM-Politiker, einen Amtsenthebungsantrag gegen den ehemaligen Hauptmann der Armee zu stellen, und seine Amtszeit endet im Februar.
Am Freitag kündigte seine Regierung an, zusätzlichen Sauerstoff nach Manaus zu liefern und Patienten in andere Bundesstaaten auszufliegen. Doch auch diese Maßnahme wird eher als Augenwischerei empfunden und ein Impeachment (Amtsenthebungsverfahren) ist nun doch wieder in Vorbereitung. Alexsandro Barbosa, einer meiner brasilianischen Freunde, warnte jedoch davor, da mit Vizepräsident Hamilton Mourão ein Armeegeneral die Macht übernehmen würde.
Obwohl nicht gesagt ist, dass mit Mourão die Armee die Macht übernimmt, so eine weitere Militarisierung des grössten Landes Lateinamerikas durchaus zu befürchten. Militär auf den Strassen, Kriegsrecht, Aussetzung der Demokratie mit dem Vorwand die öffentliche Ordnung wieder herstellen zu müssen und der ominöse Artikel 142 der brasilianischen Verfassung, der manchen Interpretationen zufolge dem Militär die Macht einer Intervention gibt. Doch Verfassungsrechtler wie Igor Veiga Carvalho Pinto Teixeira sehen das anders. Ihre Interpretation vom Artikel 142 lässt keine Machtübernahme des Militärs zu, sondern sieht nur die Möglichkeit eines Einsatzes der Militärs im Land vor, bei dem die Anweisungen aber von Seiten der zivilen Machtorgane stammen.
Alexsandro hat aber durchaus Grund besorgt zu sein. Denn den Militärs ist es egal, ob sie mit oder gegen die Verfassung an die Macht kommen. Wenn General Mourão es will, dann übernimmt das Militär die Macht einfach und herrscht mit einer Mischung aus Versprechen und Einschüchterung. Ein altbewährtes Rezept, dass bei der vom Rechtspopulisten Bolsonaro bereits gespaltenen Zivilgesellschaft gut funktionieren kann. Dennoch, hier der Link, für alle die Bolsonaro aus dem Amt jagen wollen. Morão kann dann immer noch bekämpft werden.
http://www.brasil-sufocado.bonde.org
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