Deutschland rüstet auf

Polizei filmt Teilnehmer an Demo – Pixabay.com CC 0
Handgranaten für Beamte, Präventivhaft und Fußfessel für „Gefährder“: 
Ein Dutzend Bundesländer verschärft momentan seine Polizeigesetze. So soll das Land sicherer werden. 
Aber es birgt auch eine Gefahr: 
Jeder wird zum Verdächtigen.

Rainer Kranz – 13. Mai 2018

Mit freundlicher Genehmigung von: American Rebel

So leicht erschüttert den bayerischen FDP-Chef Daniel Föst nichts. Was allerdings die CSU in diesen Wochen als „Neuordnung des bayerischen Polizeirechts“ auf den Weg bringt, treibt dem Unterfranken Zornesröte ins Gesicht.
Telefone abhören, Computer ausspähen, Briefe öffnen – und das alles ohne konkreten Verdacht. Schon beim Anschein einer „drohenden Gefahr“ sollen Polizisten massiv in die Grundrechte der Bürger eingreifen dürfen. Im Extremfall unter Einsatz von Drohnen, Maschinengewehren und Handgranaten.
„Wenn das alles umgesetzt wird, kann in Bayern bald jeder jederzeit von der Straße geholt werden“, sagt Föst. Das neue, mehr als 100 Seiten starke Polizeigesetz, das Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann am 15. Mai durch den Landtag boxen will, schränkt nach Ansicht seiner Kritiker Bürgerrechte massiv ein. Die Polizei werde zum Geheimdienst umgebaut und erhalte Kontrollbefugnisse, wie sie seit 1945 keine deutsche Behörde mehr besessen habe, lautet die Kritik.

Horst Seehofer dagegen sieht Bayern als Vorbild für Deutschland
Bayern hat bereits im vergangenen Sommer eine bundesweit einmalige Verschärfung des Polizeirechts eingeführt. Seitdem ist es den Sicherheitsbehörden Bayerns gestattet, jeden, der als „Gefährder“ eingestuft wird, unbegrenzt in Haft zu nehmen und zum Tragen einer Fußfessel zu verpflichten. Beweise? Nicht nötig. Erst nach drei Monaten muss ein Richter die Präventivhaft verlängern. In der vergangenen Woche musste die Landesregierung zudem das geplante Psychiatriegesetz entschärfen. Es sah vor, Patientendaten fünf Jahre lang zu speichern, wenn Menschen stationär in der Psychiatrie behandelt werden. Die Daten hätten auch an die Polizei weitergegeben werden sollen. Auch da die Kritik: Jeder wird zum Verdächtigen.

Nun also das „Bayerische Polizeiaufgabengesetz“. Urheber dieses „Triptychons der Grausamkeiten“, wie FDP Chef Föst es nennt, ist Horst Seehofer. Noch zu Zeiten als bayerischer Ministerpräsident brachte der CSU Landesvorsitzende die Verschärfungen auf den Weg. Kaum hat Seehofer sein neues Büro im Bundesinnenministerium Berlin Moabit bezogen, erhebt er sein Heimatland zum Musterbeispiel für die gesamte Republik.. „Bayern gehört zu den sichersten Regionen in Europa. Das muss auch für ganz Deutschland möglich sein“, sagt er. Zwar solle Deutschland ein weltoffenes und liberales Land bleiben. Aber wenn es um den Schutz der Bürger gehe, sei ein starker Staat notwendig. „Dafür werde ich sorgen.“

Die Grünen haben eine erste Verfassungsklage eingereicht. Weitere sollen folgen. Besonders den Begriff der „drohenden Gefahr“ hält Grünen-Innenexpertin Katharina Schulze für bedenklich. Sie ist davon überzeugt, dass die CSU aufs Tempo drückt, damit das Gesetz noch vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober in Kraft tritt. In Nürnberg, Erlangen und Regensburg gingen zuletzt Tausende Bürger auf die Straße, um gegen eine Ausweitung polizeilicher Befugnisse zu demonstrieren. In München hat sich ein bayernweites Bündnis gegründet, mehr als 40 Parteien und Organisationen gehören dazu. Für den 10. Mai haben sie in der bayerischen Landeshauptstadt zu einer Großdemonstration aufgerufen.

Dabei ist Bayern längst nicht das einzige Bundesland, in dem die Regierung den Polizeibehörden völlig neue Befugnisse verschaffen will, im Gegenteil, in vielen neuen Gesetzen finden sich Präventivmaßnahmen. Abseits der mit viel Öffentlichkeit geführten Berliner Debatten um Sicherheit und Bürgerrechte haben die Landeshauptstädte von München und Düsseldorf über Dresden bis Hannover längst beschlossen, die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit zugunsten neuer Polizeibefugnisse neu auszuloten. In knapp einem Dutzend Bundesländern sind schärfere Polizeigesetze entweder bereits beschlossen oder gerade in Arbeit.
Sie alle haben nach Auffassung ihrer Verfasser zum Ziel, Deutschland besser vor Terror und Gewalt zu schützen. Und sie forcieren einen rechtlichen Paradigmenwechsel, der sich seit Jahren mit immer neuen Gesetzen und Urteilen langsam, aber beständig vollzieht. Der Staat – oder doch zumindest die Innenminister – wollen nicht länger warten, bis Verbrechen begangen werden. 

Sie wollen vor der Tat massiv eingreifen.
In vielen der neuen Gesetze finden sich weitreichende Präventivmaßnahmen für sogenannte „Gefährder“, jene Menschen, die sich eben dadurch auszeichnen, dass sie nach herkömmlichem Recht noch nichts verbrochen haben, gleichwohl aber irgendwie als gefährlich gelten. Was aus Sicht potenzieller Opfer begrüßenswert ist, bringt jedoch auch einen Kollateralschaden mit sich: 
Jeder wird zum Verdächtigen. Die Rechte des Einzelnen verlieren im Zuge der ständigen Gefahrenabwehr immer häufiger ihre Gültigkeit.
Bereits im Frühjahr vergangenen Jahres beschlossen die Innenminister von Bund und Ländern, ähnlich wie Ende der 19 70er Jahre zu Zeiten der RAF, ein neues Musterpolizeigesetz auszuarbeiten. Einheitlic
he Standards sollten her, um Unterschiede zwischen den Ländern in der Terrorismusbekämpfung abzubauen. Auf bis zu drei Jahre schätzt Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier von der CDU den Zeitraum, der nötig sein wird, um eine weitergehende Harmonisierung zu erreichen.
Bis dahin werden sich die Befugnisse der Polizei deutlich erweitert haben. In Niedersachsen sollen, einem vor wenigen Tagen vorgestellten Gesetzentwurf zufolge, terroristische „Gefährder“ künftig bis zu 74 Tage in Präventivhaft genommen werden dürfen. Auch Online-Durchsuchungen sollen bei Terrorgefahr möglich sein. Sachsen will Spezialeinheiten mit Maschinengewehren und Handgranaten ausrüsten. Brandenburg will mehr Videoüberwachung, Mecklenburg-Vorpommern will „Gefährder“ bis zu drei Monate in Haft nehmen. Nordrhein-Westfalen hält es, wie auch andere Länder, für erforderlich, verschlüsselte Whatsapp-Nachrichten mitlesen zu dürfen. Baden-Württemberg will Spezialeinheiten mit Sprengstoff ausrüsten. Die Liste ließe sich fortsetzen. Fast allen Vorhaben gemeinsam ist, sogenannten, „Gefährdern“ elektronische Fußfesseln anlegen und sie jederzeit einsperren zu dürfen ohne dass eine konkrete Bedrohung vorliegt.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius von der SPD hält die in seinem Bundesland geplanten Maßnahmen für gerechtfertigt. „Wir orientieren uns an der Verfassung und an den Anforderungen durch die veränderte Sicherheitslage der vergangenen Jahre“, sagte Pistorius . Gleichzeitig übte er Kritik an den bayerischen Plänen. „Das, was im Gesetz stehen soll, geht weit über das hinaus, was ich für angemessen und erforderlich halte. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Menschen in Bayern sich das nicht gefallen lassen und dagegen auf die Straße gehen.“
Verfassungsrechtler Michael Brenner sieht die neuen Gesetzesvorhaben in den Ländern kritisch. Der Professor für Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht an der Uni Jena geht fest davon aus, dass es zu einer Klagewelle vor dem Bundesverfassungsgericht kommen wird. Seine Prognose: Die Gesetzesnovellen werden in ihrer jetzigen Form keinen Bestand haben. Teile könnten überleben, aber längst nicht alles. „Vielleicht ist genau dies das Ziel der Politik.
Zu sehen, wie weit man gehen kann“, sagte der Verfassungsexperte.
Brenner hält besonders die bayerischen Pläne für grenzwertig. Dort werde das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst zum Großteil aufgehoben, sagt er, und erinnert an die deutsche Geschichte. „Eine neue Gestapo muss verhindert werden. Wer die Trennung aushebeln will, ist auf dem Weg zu einer allmächtigen Staatspolizei. Der Bürger weiß dann nicht mehr, welche Behörde welche Daten über ihn besitzt.“
Der bayerische Landtagssachverständige Hartmut Wächtler stört sich daran, dass nicht nur Terroristen und Schwerverbrecher, sondern jeder Bürger ins Visier der Polizei geraten kann. Und selbst der Polizei gehen einige Teile der Gesetzesnovelle wie der Einsatz von Handgranaten und Sprengstoff zu weit.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU kann und will die Aufregung um schärfere Sicherheitsgesetze nicht verstehen. Alles sei völlig verfassungskonform„ Was wir wollen ist, dass die Polizei früher aktiv werden kann, um gefährliche Situationen zu entschärfen. Nicht erst dann, wenn es schon brennt“, sagte Herrmann der „Süddeutschen Zeitung“. Bedenken, Deutschland entwickele sich zu einem Polizeistaat, teilt Herrmann nicht. 
„Wenn einer dem anderen eine Watsch’n gibt, wird die bayerische Polizei sicherlich nicht anfangen, Leute zu überwachen.“
Das Neue allerdings wäre, dass es das Gesetz künftig wohl zuließe.
Wie viel Sicherheit brauchen wir?, TV Vision:

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