Die „zivile Anforderung“ ist eine Art „Notstandsgesetz“, mit dem eine Regierung einen Streik abbrechen kann. Doch eine Anwendung dieser diktatorischen Maßnahme ist nur in Fällen gestattet, bei denen ein Streik Menschenleben ernsthaft bedroht oder andere extreme Folgen für das Land und seine Bürger zu erwarten sind. Ob das hier der Fall ist, ist fragwürdig.
Rui Filipe Gutschmidt – 12. Februar 2019
Re-Post – 16. Februar 2019
Der Streik der Krankenschwestern und Krankenpfleger zieht sich schon seit Monaten hin. Es ist ein „chirurgischer Streik“, da die OP-Schwestern alle nicht dringenden Operationen – Chirurgien also – bestreiken. Doch bei einer so wichtigen Arbeit, bei der es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben oder Tot geht, ist ein Streik natürlich stark umstritten und zumindest grenzwertig.
Was spricht GEGEN die „zivile Anforderung“?
Die Arbeitnehmerrechte in Portugal lassen fast jeden Werktätigen streiken, solange gewisse Regeln eingehalten werden. In einem Beruf wie dem der OP-Schwestern, gilt es ein Minimum an Personal bereitzustellen und im Notfalldienst ebenso bei den OP’s zu assistieren. So ist eine „zivile Anforderung“ laut Gesetz berechtigt, wenn die Streikenden diese Mindestanforderungen nicht einhält UND der entstehende Schaden untragbar wird.
Was aber ist „untragbar“? Was rechtfertigt eine diktatorische Maßnahme wie diese? In einem Land, in dem das Streikrecht besonders hoch eingestuft wird, müssen autoritäre Zwangsrekrutierungen wie die zivile Anforderung besonders gerechtfertigt werden. Nicht nur vom rechtlichen Standpunkt, besonders jetzt, da die Gewerkschaft gegen die Maßnahme geklagt hat, sondern auch politisch ist solch ein Anflug von Autoritarismus für eine Regierung der Mitte-Links-Partei PS (Partido Socialista) eine Gratwanderung.
Es ist jedenfalls eine diktatorische, autoritäre und polizeistaatliche Verordnung, die den Weg zur Aussetzung der Demokratie öffnet und in einer Linie mit Militärpflicht, Zivildienst oder Notstandsparagraphen/-gesetzen liegt. Eine Anwendung darf wirklich nur das allerletzte Mittel sein und ob das hier der Fall ist?
Was spricht FÜR die „zivile Anforderung“?
Der Streik wird nur von einem Teil der Krankenpfleger ausgetragen. Es sind die OP-Schwestern, die in sieben der größten Krankenhäusern des Landes die „nicht dringenden operativen Eingriffe“ bestreiken. Doch in vier dieser sieben Krankenhäuser, so sagt es zumindest die Regierung, wurden die Mindestanforderungen nicht erfüllt.
Das Problem aber liegt tiefer. Es ist nur schwer zu sagen, ob es bei einer OP um Leben oder Tot geht. Aber es geht auf alle Fälle immer um die Gesundheit. Schönheitschirurgien sind übrigens nicht betroffen, denn dafür sind Privatkliniken zuständig. So geht es im öffentlichen Gesundheitssystem ausschließlich um Eingriffe, die aus gesundheitlichen Gründen nötig sind.
Der chirurgische Streik sollte bis Ende Februar den Betrieb mehrerer öffentlicher Krankenhäuser lahmlegen. Doch der Streik zieht sich schon seit Ende letzten Jahres hin. Es gibt Kollegen/innen, die unbezahlte Überstunden schieben, den Personalmangel irgendwie ausgleichen müssen und gleichzeitig in überbelegten Krankenhäusern mit den Folgen der Grippeepidemie zu tun haben. Sie haben auch gestreikt und die Wiederherstellung der Löhne und Rechte des auf das Niveau von 2010 (Vortroikaniveau) gefordert. Auch hier gibt es noch einiges zu tun und das öffentliche Gesundheitssystem muss dringend repariert werden.
Ethik, Demokratie, Streikrecht, Spendenaktion und Interessenkonflikte
Krankenpfleger sind keine Ärzte und daher unterliegen sie auch nicht direkt dem hipokratischen Eid. Aber trotzdem haben sie einen Beruf gewählt, in dem es darum geht kranken Menschen zu helfen. Mehr noch als viele Ärzte in der heutigen Zeit der Raffgier oft in privaten Kliniken oder in der eigenen Praxis viel Geld verdienen wollen, ist die Arbeit als Krankenschwester/-pfleger eher noch Berufung als einfach nur Beruf.
Vielleicht sind die OP-Schwestern nur zu nah an den Chirurgen, so dass die Menschlichkeit, beziehungsweise das Mitgefühl allmählich schwindet… Man muss klar sagen, dass gerade Chirurgen sich emotional abgrenzen müssen. Aber die Ethik und Deontologie aller Berufe im öffentlichem Gesundheitssystem bleibt bestehen – Streik oder nicht Streik. Tausende Chirurgien wurden bereits verschoben, allein in den ersten 15 Tagen im Januar wurden 2.657 Operationen nicht durchgeführt. Das betrifft Menschen, die bei sowieso schon viel zu langen Wartezeiten, weiter leiden müssen.
Dieser Streik wird durch eine Spendenaktion unterstützt, die jedem Streikenden etwa 47 Euro pro Streiktag zukommen lässt. Eine Untersuchung soll feststellen, ob bei dieser Finanzierung des Streiks alles mit rechten Dingen zugeht. Denn es besteht der Verdacht, dass nicht nur Solidarität die 784.000 € auf der Internetplattform zusammenkommen ließ. Die Verantwortlichen garantieren, dass etwa 14.000 kleine Spenden von Privatpersonen in Höhe von 15-20 € eingezahlt wurden. Die Crowdfunding-Plattform bekommt etwa 33.000 € Kommission, doch daran stößt sich die Behörde ASAE, die für Lebensmittelsicherheit und Wirtschaftskriminalität zuständig ist, nicht.
Der Verdacht liegt nahe, dass Privatkliniken und private Krankenversicherungen, die immer stärker werden, die Gesundheitssysteme in Portugal und weltweit privatisieren wollen. Diese Lobby profitiert nicht nur von den vielen Operationen, die sie jetzt übernehmen (von Leuten die Geld haben), sondern auch vom Prestigeverlust und der weiteren Zerstörung des öffentlichem Gesundheitssystems. Ein Thema, dass wir auch aus Deutschland und vielen anderen Ländern kennen und an dem wir dran bleiben!
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