Klimawandel: Wie viel Panik brauchen wir?

Wirbelsturm Pixabay CC0 Public Domain

Die Klimastreikbewegung argumentiert plakativ und radikal – aber genau dafür sind Protestbewegungen da. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Klimaangst berechtigt In der Ökobewegung gibt es wie in jeder politischen Bewegung merkwürdige, irrationale oder kontraproduktive Strömungen, sagt Florian Aigner. Aber wissenschaftliche Fakten könne man nicht als “romantische Ökospinnerei” abtun, erklärt der Physiker im Gastkommentar.
Florian Aigner 26. April 2019
mit freundlicher Genehmigung von https://joinin.news.blog/
Es ist Zeit, in Panik zu verfallen. Das ist die Botschaft der Fridays-for-Future-Bewegung. Aber das ist anstrengend. Wer hat schon Zeit für eine anständige Panik? Und so wird weiterhin verharmlost und beschwichtigt. Manche der weit verbreiteten Horrorszenarien stehen wissenschaftlich nicht auf soliden Beinen: Der Meeresspiegel steigt zwar, aber die Angst, das Meer könnte sprunghaft über die Ufer treten und ganze Städte wegreißen, ist vorerst bloß Stoff für Hollywoodfilme. Wir können auch noch immer nicht gut einschätzen, inwieweit der Klimawandel zu stärkeren Wirbelstürmen und anderen Naturkatastrophen führen wird. Doch wer daraus eine Entwarnung ableitet, der irrt: Wir Menschen greifen massiv in globale Systeme ein, von denen unser Überleben abhängt. Dass wir die Folgen nicht exakt vorausberechnen können, ist kein Argument für die Annahme, dass es keine Folgen gibt. Wir wissen, dass sich die globalen Temperaturen verändern. Wir wissen, dass die Gletscher schmelzen. Wir wissen, dass wir es mit einem globalen Artensterben gewaltiger Dimension zu tun haben. Gleichzeitig wird unser Leben von einem komplexen Zusammenspiel aus Wirtschaft, Politik und technischem Fortschritt bestimmt, das alles andere als stabil ist. Schon eine vergleichsweise harmlose Flüchtlingsbewegung aus Syrien hat unvorhergesehene politische Folgen nach sich gezogen. Niemand hat auch nur eine Ahnung, was passieren wird, wenn durch den Klimawandel ganze Landstriche unbewohnbar werden, große Migrationsbewegungen einsetzen oder in dicht bevölkerten Ländern plötzlich Ernteausfälle zu gefährlichen Nahrungsmittelengpässen führen.
„Unser Haus steht in Flammen“: Greta Thunberg und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter protestieren für bessere Klimapolitik. Falsches Bild vom Klimawandel?! Immer noch haben viele Menschen ein falsches Bild vom Klimawandel: Wenn es ein paar Grad wärmer wird, lebt man dann eben in Wien so wie heute in Rom und in Kopenhagen so wie heute in Wien? Das ist aber leider zu einfach gedacht: Die große Gefahr sind sogenannte Kipppunkte im Gesamtsystem Erde. Kaskade von Kippelementen Dasselbe kann auch dem Weltklima passieren: Wenn wir es zu stark verändern, könnte es in relativ kurzer Zeit kippen und in einem neuen Gleichgewicht landen. Eine ganze Reihe von Kippelementen könnte das Leben auf unserem Planeten dramatisch verändern: Das Eis in Polnähe kann abschmelzen, sodass es das Sonnenlicht nicht mehr reflektiert, was die Erwärmung weiter anheizt. Meeresströmungen, der Monsun, das El-Niño-Phänomen könnten plötzlich kippen und sich völlig anders verhalten als bisher. Das Auftauen von Permafrostböden könnte Methan freisetzen, das den Treibhauseffekt noch viel stärker vorantreibt als CO2. Zwischen all diesen (und vielen weiteren) Kippelementen bestehen komplizierte Zusammenhänge, sodass ganze Kaskaden von Kippeffekten möglich sind. Genau aus diesem Grund setzen sich Wissenschaftler so stark dafür ein, die globale Erwärmung auf 1,5 bis zwei Grad Celsius zu beschränken. Man glaubt, dass man in diesem Bereich noch nicht mit katastrophalen Kippeffekten zu kämpfen hätte. Genau vorhersagen kann das aber niemand. foto: apa/afp/tolga akmen Die Wahrheit sagen: Klimaaktivistin in London. Keine Ökospinnerei Wer solche Fakten leugnet, verharmlost oder für romantische Ökospinnerei hält, der widerspricht damit nicht bloß ein paar demonstrierenden Jugendlichen, sondern der Wissenschaft – und das ist eine Position, auf der man selten gewinnt. Natürlich kann man den Konsens, den Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt über Jahrzehnte erarbeitet haben, einfach ignorieren. Aber dann sollte man sich über tragische Konsequenzen nicht wundern.
(Florian Aigner, 19.4.2019) Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftspublizist in Wien. florianaigner.at derstandard.at/2000101703798/Klimawandel-Wie-viel-Panik-brauchen-wir

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