Rui Filipe Gutschmidt – 16. März 2020
Hier ein Ausführlicher Beitrag zum COVID-19 in Portugal. Premierminister António Costa gab nach seiner Rückkehr aus Berlin und während einer Unterbrechung des extra einberufenen Ministerrats, die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie in Portugal bekannt. Dabei will man aus Fehlern anderer lernen und ist bemüht den ökonomischen Schaden zu begrenzen. Doch wie immer werden die Arbeitnehmer, Rentner und alle, die geringe Einkommen haben, am meisten unter den Folgen der Krise leiden.
Die portugiesischen Nachrichten bringen rund um die Uhr die neuesten Zahlen, Erkenntnisse, Statistiken… Aber das Bild ist nicht komplett, wenn wir nur die Fakten aufzählen. Daher werde ich nach Aufzählung der Maßnahmen der portugiesischen Regierung, noch ein paar persönliche Eindrücke aus der Krisenzone schildern. Doch hier erstmal die trockenen Fakten, wie sie von den Kollegen der portugiesischen Presse geschildert werden:
António Costa und seine Regierung hat diesen Montag den Nationalen Plan zur Vorbereitung und Reaktion auf Krankheiten wie das Coronavirus genehmigt. Das Dokument gilt als „strategisches Instrument zur Vorbereitung und Reaktion auf eine potentielle Epidemie des SARS-CoV-2-Virus“ und „enthält als Referenz die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten. Es ist ein nationales Referenzdokument für die Planung der Reaktion auf COVID-19“.
Den im Plan enthaltenen Maßnahmen „fehlt die Überwachung spezifischer technischer Leitlinien für ihre Anwendung, um sie entsprechend der epidemiologischen Entwicklung von Covid-19 und bei Bedarf schrittweise zu aktualisieren“, erläutert das Dokument. „Aufgrund der Dynamik des epidemiologischen Kontextes und der wissenschaftlichen Unsicherheit hinsichtlich der Merkmale dieses Virus und um die Reaktion anzupassen und flexibler zu gestalten, wird dieser Plan bei Bedarf überarbeitet und aktualisiert.“
Zu den Hauptzielen des Plans gehört die Minimierung der „schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle durch Covid-19 in Portugal“ und der „sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Bedrohung“. Als sekundäre Ziele werden folgende genannt: „Verringerung der Ausbreitung von Infektionen durch Förderung von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, Einzelpersonen oder Gemeinschaften; Minimierung des Risikos einer nosokomialen Übertragung von Covid-19; Behandlung und Unterstützung einer großen Anzahl von Menschen wenn die wesentliche Gesundheitsversorgung aufrechterhalten wird, die Kontinuität der Gesundheitsversorgung und anderer wesentlicher Dienstleistungen zu unterstützen, das Vertrauen und die Sicherheit der Bevölkerung durch die Umsetzung von Maßnahmen zu wahren, die auf den besten Erkenntnissen beruhen“.
Gesundheitssystem:
1. Außergewöhnliches Regime, im Gesundheitssystem:
a) Aussetzung von Überstundenlimits;
b) Vereinfachung der Einstellung von zusätzlichem Personal;
(c) Mobilität der Arbeitnehmer;
(d) Einstellung von pensionierten Ärzten ohne Altersbeschränkung.
2. Präventionssystem für Fachkräfte im Gesundheitssektor, die direkt an der Diagnose und der Reaktion der spezialisierten Labors beteiligt sind.
3. Ausnahmeregelung für das Outsourcing von Dienstleistungen durch Organe, Agenturen, Diensten und Einrichtungen des Gesundheitsministeriums.
4. Ausnahmeregelung für die Zusammensetzung von medizinischen Gremien zur Bewertung der Inkapazitäten von Menschen mit Behinderungen.
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Bildung:
5. Bildungseinrichtungen (Schulen, Universitäten, Kindertagesstätten, schulische Freizeitaktivitäten):
– Aussetzung aller schulischer Aktivitäten (Unterricht und Freizeitbeschäftigung) in persönlich Anwesenheit, beginnend am Montag (16. März 2020) und für einen Zeitraum von zwei Wochen.
– Neubewertung am 9. April in Bezug auf das letzte Drittel des Schuljahres.
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Soziale Dienste:
6. Heime:
– Aussetzung von Heimbesuchen im gesamten Staatsgebiet.
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Geschäfte:
7. Restaurants und Bars:
– Maximale Kapazitätsreduzierung um 1/3.
8. Nachtclubs, Discos und dergleichen:
– Schließen.
9. Einkaufszentren, Supermärkte, Fitnessstudios und öffentliche Dienstleistungen:
– Frequenzbeschränkungen, um die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der sozialen Distanz zu gewährleisten.
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Arbeitnehmer:
10. Zuweisung gerechtfertigter Abwesenheit für Arbeitnehmer, die zu Hause bleiben müssen, um ihre Kinder bis zum Alter von 12 Jahren zu begleiten, aufgrund der Unterbrechung der Unterrichtsaktivitäten (und Nutzung von Telearbeit).
– Außergewöhnliche finanzielle Unterstützung für die oben genannten Arbeitnehmer in Höhe von 66% der Grundvergütung (33% vom Arbeitgeber, 33% von der Sozialversicherung).
– Außergewöhnliche finanzielle Unterstützung für Selbständige in Höhe von 1/3 der durchschnittlichen Vergütung.
11. Außerordentliche Unterstützung zur Verringerung der Wirtschaftstätigkeit von Selbständigen und zur Verschiebung der Beitragszahlung.
12. Schaffung einer außerordentlichen Unterstützung für die Berufsausbildung in Höhe von 50% des Arbeitnehmerentgelts bis zur Begrenzung des nationalen Mindestlohns zuzüglich der Ausbildungskosten für die Situation von Arbeitnehmern, die längere Zeit nicht in produktiven Tätigkeiten beschäftigt waren.
13. Gewährleistung des Sozialschutzes für Auszubildende und Ausbilder im Rahmen von Ausbildungsmaßnahmen sowie für Begünstigte, die eine aktive Beschäftigungspolitik betreiben und nicht an Ausbildungsmaßnahmen teilnehmen können.
14. Situation einer 14-tägigen prophylaktischen Isolation, die im Sinne von Sozialschutzmaßnahmen mit Krankheit gleichgesetzt wird. Der Zuschussbetrag entspricht 100% der Vergütung und unterliegt keiner Wartezeit.
15. Das Krankengeld unterliegt keiner Wartezeit (3 und 10 Tage)..
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Unternehmen:
16. Kreditlinie zur Unterstützung der Unternehmen in Höhe von 200 Millionen Euro.
17. Kreditlinie für Kleinstunternehmen im Tourismussektor im Wert von 60 Millionen Euro.
18. Vereinfachte Kündigung: Außerordentliche Unterstützung für die Aufrechterhaltung von Arbeitsverträgen in einem Unternehmen in einer Geschäftskrisensituation in Höhe von 2/3 der Vergütung, wobei die Sozialversicherung die Zahlung von 70% dieses Betrags gewährleistet, der Rest wird von Arbeitgeber getragen.
– Ausbildungsstipendium des Instituts für Beschäftigung und Berufsbildung.
– Förderung eines außergewöhnlichen und vorübergehenden Systems der Befreiung von der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen während der Entlassungsfrist durch die Arbeitgeber im beitragsabhängigen Rahmen.
19. Maßnahmen zur Beschleunigung der Zahlungen der öffentlichen Verwaltung an Unternehmen.
20. PT 2020:
(a) Zahlung von Anreizen innerhalb von 30 Tagen;
(b) Verlängerung der Rückzahlungsfrist für Kredite, die im Rahmen des Nationalen Strategischen Referenzrahmens oder des PT 2020 gewährt wurden;
(c) Anspruchsberechtigung für Ausgaben, die bei abgesagten internationalen Veranstaltungen anfallen;
21. Außerordentlicher finanzieller Anreiz zur Gewährleistung der Normalisierungsphase der Tätigkeit (bis zu einem Mindestlohn [600 €] pro Arbeitnehmer).
22. Stärkung der Reaktionsfähigkeit der IAPMEI – Agentur für Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Tourismus in Portugal zur Unterstützung der durch Covid-19 verursachten Auswirkungen.
23. Verlängerung der Fristen für die Zahlung von Steuern und anderen deklaratorischen Verpflichtungen.
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Zivilschutz:
24. Das Innenministerium und das Gesundheitsministerium werden im ganzen Land „Wachsamkeit erklären“ und Zivilschutzmittel sowie Sicherheitskräfte und -dienste in Bereitschaft versetzen.
25. Anwendung einer Ausnahmeregelung für freiwillige Feuerwehrleute, die zur Verstärkung der Hilfe im Rahmen von Covid-19 aufgerufen wurden.
26. Schaffung einer nationalen Reserve für persönliche Schutzausrüstung für medizinische Notfälle für Feuerwehren..
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Häfen:
27. Verbot des Aussteigens von Passagieren von Kreuzfahrtschiffen..
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Gerechtigkeit:
28. Außergewöhnliche Regelung für die Aussetzung von Fristen, bei Behinderung, Rechtfertigung von Abwesenheiten und Verschiebung der Sorgfaltspflicht..
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Öffentliche Verwaltung:
29. Ausnahmeregelung für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Genehmigung von Ausgaben und die behördliche Genehmigung zur Reaktion auf die SARS-CoV-2-Epidemie.
30. Verantwortung für abgelaufene Dokumente, die den Behörden vorgelegt werden..
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Portugal im Ausnahmezustand, persönliche Eindrücke:
Ich habe ja schon viel erlebt, aber so etwas noch nie. Es war jedem klar, dass COVID-19 auch nach Portugal kommen würde. Das Land lebt von seinen internationalen Verbindungen, dem Tourismussektor, dem Export von Schuhen, Korkprodukten, Wein und Olivenöl. Es war im Übrigen auch die Schuhindustrie, die den Virus ins Land holte. Die große Schuhmesse in Mailand, bei der die Portugiesen auch ausgestellt haben, brachte Menschen aus aller Welt zusammen. Die beiden Zentren der Schuhindustrie in Portugal haben somit die ersten Fälle importiert. Felgueiras und Lousada, nördlich von Porto und São João da Madeira und Santa Maria da Feira, südlich der Tourismusmetropole Porto, sind aber bei weitem nicht so betroffen, als es in Norditalien der Fall ist.
Hier, in Santa Maria da Feira ist es auch nicht so schlimm, was die Anzahl der Infizierten betrifft. Doch das ist einzig den Maßnahmen der Regierung und dem größtenteils vorhandenen Pflichtbewusstsein der Menschen hier zu verdanken. Dabei geschah in Lissabon genau das Gegenteil. Tausende gingen Freitag Nacht auf Lissabons neue Partymeile und feierten den Weltuntergang. Die Polizei verhängte Strafen und inzwischen werden Straßensperren errichtet, um vor allem große Menschenansammlungen zu verhindern. Denn die Schulen haben nicht geschlossen und ein Elternteil wurde nicht „beurlaubt“, damit die Kinder mit ihren Eltern die Shoppingcenter füllen oder (Freitag und Samstag war schönes Wetter) an den Strand gehen..
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Desinfiziert eure Hände:
In fast jedem Laden steht jetzt Desinfektionsgel oder Ethylalkohol. Es gibt sich keiner mehr die Hand und die in Portugal sonst üblichen Küsschen sind ganz verpönt. In den Geschäften warten die Menschen vor der Tür, während immer nur einer oder zwei bedient werden. Inzwischen arbeiten alle mit Handschuhen und ein paar haben eine Chirurgenmaske auf, obwohl diese nicht wirklich was nützt. Masken sind für Infizierte, damit sie den Virus nicht weitergeben. Aber es ist ein psychischer Effekt. Man fühlt sich besser. Ansonsten halten alle einen Abstand von 1 bis 2 Meter voneinander ein.
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Die Wirtschaftlichen Folgen sind brutal, vor allem für die, die eh nichts haben:
Die Menschen haben schwere Zeiten vor sich. Gerade in der Tourismusbranche und damit einhergehend in der Gastronomie, sind die Beschäftigungsverhältnisse seit jeher prekär und schlecht bezahlt. Der Einbruch in den Besucherzahlen schickt unzählige Arbeiter in einen 2/3 Zwangsurlaub oder gleich in die Arbeitslosigkeit. Wer in der Gastronomie arbeitet verdient oft gerade mal den gesetzlichen Mindestlohn von 600 Euro. Trinkgelder und kostenlose Verpflegung sind die Anreize, die dafür sorgen, dass genug Menschen diese harte Arbeit trotzdem machen. Aber 66 Prozent von 600 sind 400 Euro und wer daheim bleibt hat weder Trinkgeld nocht kostenlose Verpflegung. Wie sollen diese Menschen jetzt leben?
Es ist alles in allem gut, dass dem Virus ein Riegel vorgeschoben wird. Verschwörungstheoretiker mögen ja von einer absichtlichen Verbreitung oder übertriebener Panikmache fantasieren. Doch der Virus ist Real, heimtückisch, hochansteckend und vor allem für ältere Menschen tödlich. Dabei ist es das erste mal, dass wir in so einer Weise auf eine Pandemie reagieren. Der wirtschaftliche Schaden in der weltweit verknüpften Ökonomie ist noch nicht einmal ansatzweise abzuschätzen und doch ist jetzt schon klar wer die Verlierer auch bei dieser Krise sind. .
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Hamster müssen Geld haben:
Hamsterkäufe? Es ist gut und richtig, wenn man für sich und die Seinen vorsorgt. Aber Hamster nehmen nur soviel, wie sie in ihren Backen tragen können. So meinte ein TV-Kommentator bezüglich der Hamsterkäufe von Toilettenpapier, dass der Coronavirus „keinen Durchfall“ verursacht. Vor allem aber sind übertriebene Hamsterkäufe unsolidarisch, führen zu unverschämten Preissteigerungen und lassen all diejenigen, die kein Geld für sowas übrig haben, ohne die lebensnotwendigen Produkte.
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Schockzustand:
Portugal – wie auch Spanien in gewisser Weise – ist in einem Ausnahmezustand. Während die Epidemie in Spanien aber bereits aus dem Ruder gelaufen ist, hat Portugal möglicherweise die Reißleine im richtigen Moment gezogen. Die Straßen sind leer und eine gespenstische Ruhe liegt über dem Land. Alle, die auch nur einen Funken Verstand haben, haben Angst. Es ist dabei noch nicht einmal die Angst sich anzustecken. Es sind Existenzängste, die die Menschen umtreiben. Wird mein Chef Pleite gehen? Habe ich bald keine Arbeit mehr? Müssen wir bald hungern? Wie soll ich meine Miete bezahlen? Wie, wo, was tun?
Aber es gibt keine Garantie für das Leben. Nur der Tod ist eine Gewissheit. Diese schmerzhafte Erkenntnis ist deprimierend einerseits, bringt aber auch das Gute in vielen Menschen hervor. Man hilft sich gegenseitig, wenn man dazu in der Lage ist. Rein physisch nimmt der Abstand zwischen den Menschen zu (1 bis 2 Meter), doch im übertragenem Sinne fördert diese Pandemie den Zusammenhalt der Menschen. Die menschliche Nähe sieht man unter anderem an einer Initiative die die Menschen im Gesundheitssystem moralisch unterstützen soll. Jeden Abend, um 22:00 Ortszeit, gehen die Menschen ans Fenster und Klatschen oder singen die Nationalhymne. Diese Geste im Übrigen keineswegs nationalistisch einzustufen. Es geht um die Unterstützung derer, auf denen die Hoffnungen des ganzen Landes ruhen und die sich ständig einem großen Risiko aussetzen.
Derzeit sind 50 Ärzte infiziert und weitere 150 stehen unter Quarantäne. Insgesamt wurden bislang 245 Fälle bestätigt. 2 haben den Virus überstanden und bisher ist hier noch niemand gestorben. Damit das so bleibt, wurden die genannten Maßnahmen ergriffen und je nach Sachlage werden weitere Beschlüsse getroffen. Die Einreise von Touristen soll untersagt werden, wobei Geschäftsreisen weiter erlaubt sein sollen. So überlegt die Regierung auch, ob der Notstand ausgerufen wird, was seit bestehen des demokratischen Portugals (25. April 1974) das erste mal wäre. Portugal ist nicht sonderlich stark betroffen vom Virus selbst. Aber ein Blick nach Spanien, mit seinen und 8744 Infizierten, von denen 3215 im Krankenhaus liegen und davon wiederum 410 auf der Intensivstation sind. 297 Tote zählte Spanien (16. Marz 2020) und auf der anderen Seite galten 521 Infizierte als geheilt.
So gesehen scheint Portugal also rechtzeitig reagiert zu haben. Als Beispiel für andere Länder kann das, zumindest in diesem Fall, aber nicht mehr dienen. „Beim nächsten mal“, werden wir es hoffentlich besser machen… aber noch besser wäre es, wenn es kein „nächstes mal“ gäbe. Doch es ist eine Teil der Natur, dass Viren, Bakterien und andere Krankheitserreger eine natürliche Auslese verursachen. Der Mensch ist in der Lage diese natürliche Auslese mit Hilfe der modernen Medizin zu bekämpfen. Der wichtigste Faktor hierfür ist die Solidarität. Der Egoismus – auch der Gruppenegoismus wie Nationalismus, religiöser Fanatismus und ähnliches – sind kontraproduktiv. Daher ist SOLIDARITÄT oberstes Gebot!
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