Rui Filipe Gutschmidt – 18. Juni 2020
Portugal hat die Pandemie, mit Ausnahme vom Großraum Lissabon, soweit ganz gut überstanden. Doch während die Normalität langsam zurückkehrt, gibt es Unternehmer die sich die Not der Menschen zu nutzen machen, um Arbeitnehmer auszubeuten und zu erpressen, ohne bestehende Gesetze zu achten oder auch nur einen Funken Moral.
Portugals Regierung hat eine ganze Reihe von Maßnahmen beschlossen, die der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen sollen. Doch im Gegensatz zu Ländern wie Deutschland, der Niederlande oder Österreich, geht Portugal nicht den Weg der Austerität, sondern ist bemüht die Menschen nicht noch mehr leiden zu lassen. Aber ist das genug? Sind gute Vorsätze oder gar kürzlich erlassene Gesetze genug, um die Arbeiter, Selbstständigen, Rentner und Arbeitslosen vor noch größerer Armut zu bewahren als die, die sie jetzt schon bei weiten Teilen der Bevölkerung vorherrscht? Leider nein…
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Beispiel Gastgewerbe
Das Gastgewerbe in Portugal ist seit eh und je vielseitig vertreten und traditionell sind Cafés und Restaurants ein Ort des sozialen Lebens. Ob „Tasca“, also Taberne, Café oder Bar, ob Restaurant oder Discothek, der Portugiese geht beinahe Täglich seinen Espresso oder sein Bier trinken, geht in der Mittagspause mit den Kollegen in einem der zahlreichen Cafés oder Restaurants ein Billigmenu für 5 oder 6 € essen und trifft sich nach Feierabend auf ein Bier mit Freunden. Die Preise sind selbst für Leute mit niedrigen Löhnen – unter 700 € – erschwinglich und somit ist es Teil der kulturellen Identität der Portugiesen.
Der Tourismus profitiert auch davon, da Ausländer mit höherem Lohnniveau sich in ihrem Urlaub vieles leisten können, worauf sie in ihrer Heimat verzichten müssen. Dabei sind Mieten, Strom, Wasser, Gas oder Lebensmittelpreise gar nicht mal so billig. Was die niedrigen Preise ermöglicht, dass sind die geringen Lohnkosten. Oft arbeitet die ganze Familie in ihrem Café, Kneipe, Restaurant und Angestellte verdienen den Mindestlohn und kaum einen Cent mehr. Dafür arbeiten sie mehr als die meisten und ihre Jobs gehören zu den unsichersten Arbeitsplätzen im Land.
Zugegeben, die Pandemie hat gerade diesen Sektor der portugiesischen Wirtschaft schwer getroffen. Darum hat die Regierung auch Hilfsmaßnahmen für die vielen kleinen Unternehmen mit ihrer Handvoll Angestellter bereitgestellt, wobei die Bürokratie für manche ein Problem darstellt. Denn die Tavernen und Cafés in den Dörfern und kleinen Städten, vor allem im dünner besiedelten Bergland, gehören oft älteren Menschen, die weniger Bildung haben und die sich zwar mit ihrem Geschäft auskennen aber nicht mit den bürokratischen Hürden, die von irgendwelchen Anwaltskanzleien mit ihren Beraterverträgen aufgestellt wurden.
An diesen Menschen, die meistens die humansten Arbeitgeber (nicht selten arbeiten ganze Familien zusammen) sind, gehen die Hilfsmaßnahmen schlichtweg vorbei. Doch nicht nur an diesen Unternehmern und nicht nur der Bürokratie wegen. Keiner weiß so recht woran er ist. EU, EZB und die einzelnen Staaten, Länder, Verwaltungsregionen und Gemeinden stecken Unsummen in die Wirtschaft und versuchen so den Kreislauf des Geldes wieder in Schwung zu bringen. Doch was kommt dabei raus?
In Portugal kommt nicht genug Geld unten, beim sogenannten „Endverbraucher“ an, was dazu führt, dass sich viele kein „Mittagsmenu“ leisten können. „Ohne Moos nix los!“ Also kommt die Wirtschaft nur langsam wieder ins Rollen. Das dieses Land sich gerade erst an den eigenen Haaren aus dem Dreck gezogen hatte, in das Schäubles Austeritätspolitik das Land getunkt hat, haben die Eurokraten in Brüssel längst wieder vergessen. Vor allem aber die Strategie von Premierminister António Costa und seine linke Parlamentsmehrheit wird von heutigen Politikern im konservativ-nationalistisch dominierten Nord- und Osteuropa gerne verschwiegen.
Es waren die Lohnerhöhungen und die Wiederherstellung der während der Jahre der Troika stark gekürzten Einkommen, die den Portugiesen einen Ausweg aus der Krise ermöglichten. Doch kaum hatte Premierminister Costa den historischen (wenn auch umstrittenen) Haushalt 2020 mit einem Überschuss von 0,2 Prozent angekündigt, kam … die Pandemie!
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Das neoliberale System ist die Krankheit
Jetzt hat das Land, wie auch der Rest der Welt, wieder Probleme mit einer Wirtschaft, die auf dem neoliberalen System basiert und die nur nach dem Staat schreit, wenn etwas schief läuft. Doch darum geht es mir heute nur am Rande. Die portugiesischen Gastwirte, die ums überleben kämpfen und bemüht sind ihre Angestellten mitzuziehen, haben es in den letzten 3 Monaten nicht leicht gehabt. Aber das rechtfertigt nicht die Taten einiger Unternehmer, die sich die Situation zu Nutzen machen. Es gibt immer Leute, die glauben schlauer zu sein als alle anderen und sie leiten daraus das Recht ab, ihre Mitmenschen auszubeuten.
Beispielsweise das Restaurant bei dem ein Freund von mir bis vor kurzem arbeitete. Der Laden hat ihn, einem Ausländer, von einem anderem Restaurant abgeworben und statt einem Ruhetag und Mindestlohn, 1½ Ruhetage und gut 150 € mehr geboten. Doch die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags wurde auf die lange Bank geschoben. Dann kam Covid-19 und der Ausnahmezustand. Kellner waren nicht mehr nötig und Lay-Off (mit 2/3 vom Lohn nach Hause geschickt, wobei der Staat einen Teil davon übernimmt) ist nur für Leute mit Vertrag…
So drückte seine Chefin ihm 300 € in die Hand und meinte er solle sich besser was neues suchen. Dabei wäre das noch nicht mal so falsch. Aber die Lage, mitten im Ausnahmezustand, war (und ist) nicht gerade förderlich für die Jobsuche. Überall wurden prekäre Jobs gestrichen. Vor allem Ausländer oder Leute mit Gelegenheitsjobs, Schwarzarbeiter, Rentner mit Nebeneinkünften wie den Verkauf von Obst und Gemüse aus dem eigenem Garten oder die auf Flohmärkten Geschäfte machen, verloren von einen Tag auf den anderen ihr Einkommen ganz oder teilweise.
Doch zurück zu meinem Freund. Seine Ex-Chefin rief ihn wenige Tage vor Wiedereröffnung an und bat ihn „erstmal beim Desinfizieren und bei den Umbaumaßnahmen“ zu helfen. Was er auch tat, da er das Geld dringend benötigte. Am Tag der Wiedereröffnung war er wieder an seinem Arbeitsplatz und es lief gut genug, um ihn weiter zu beschäftigen und dabei sogar ohne Ruhetag arbeiten zu lassen. Doch als es ums bezahlen ging, war ihr die Arbeit meines Freundes nur knapp über 400 € wert.
Die Argumentation von „das Geschäft läuft nicht gut“ steht im Widerspruch zur Arbeit ohne Ruhetag. Auch ihr „ich hatte Strom- und Wasserkosten von über 900 €“ ist eine faule Ausrede. Dieser hohe Konsum kam nur dadurch zustande, weil das Restaurant Essen zum abholen und ausliefern gemacht hat. Die Preise für dieses „Take-Away“ und für den Lieferservice sind hoch genug, um damit sämtliche „Produktionskosten“ zu decken und Gewinn zu machen. Denn dieses Restaurant ist in einer leicht gehobenen Preisklasse und die Kundschaft hat bei weitem nicht die finanziellen Probleme, die andere Menschen (wie beispielsweise die, die in diesem Restaurant arbeiten) haben.
Das schlimmste aber ist das, was diese und andere Unternehmer mit der Lay-Off Regelung machen. Lay-Off bedeutet, dass der Arbeitnehmer mit 2/3 seines Gehalts vorübergehend nach Hause geschickt wird. Die staatliche Hilfe hängt davon ab, dass KEIN Angestellter entlassen wird. Arbeitnehmerrechte dürfen nicht beschnitten werden. So zumindest in der Theorie. In der Praxis haben viele Arbeitnehmer, insbesondere die ausländischen, zu viel Angst um ihren Job und somit um ihre Lebensgrundlage.
Die weit verbreitete Unwissenheit, auch hier wieder insbesondere bei den ausländischen Arbeitern, ist ebenfalls ein Schwachpunkt im System, den sich skrupellose Unternehmer zu nutzen machen. Viele kennen ihre Rechte nicht und die Ausländer wissen oft nicht, dass ihre Anträge auf Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung im Zuge der Coronakrise automatisch angenommen wurden. Da die zuständige Behörde aber überfordert ist und die Aufenthaltsbescheinigungen nur schleppend verschickt, sind Brasilianer, Angolaner, Ukrainer, Moldauer, Chinesen, Inder und all die anderen Nationalitäten verunsichert.
„Ich habe Angst! Angst um meine Zukunft, um die Zukunft meiner Freunde, meiner Familie…“ Diejenigen, die sich der Angst und Unsicherheit bedienen, um Menschen zu unterdrücken und auszubeuten, haben ihre Menschlichkeit vergessen, ihre Seele verkauft, haben keine Moral! Sie werden aber dafür eines Tages bestraft. Nichts bleibt ohne Konsequenzen.
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