Das leere Versprechen des wiedergewählten Präsidenten Portugals – Obdachlosigkeit nimmt weiter zu

Obdachlos in Lissabon - Wo ist die Stadt der Toleranz - Screenshot YouTube

Rui Filipe Gutschmidt – 31. Januar 2021

Rui Filipe Gutschmidt

Marcelo Rebelo de Sousa hatte versprochen die Obdachlosen von der Strasse zu holen. Jetzt, in Zeiten der Pandemie, hoher Arbeitslosigkeit, steigender Armut und abgelenkter Medienaufmerksamkeit für die Ärmsten der Armen, hat der Mann diese Menschen einfach im Stich gelassen. Sie sind dem Regen, der Kälte und dem Virus schutzlos ausgeliefert.
Nach seinem ersten Wahlsieg 2016, hatte der jetzt wiedergewählte Präsident de Republik Portugal, Marcelo Rebelo de Sousa versprochen „bis zum Ende seiner Amtszeit alle Obdachlosen von der Strasse zu holen. Doch schon 2019 gestand er, dass sein ambitioniertes Ziel nicht erreichbar sei. Denn gerade in den großen Städten des Landes haben Immobilienhaie den Wert der historischen Stadtteile entdeckt, die teils mit Hilfe der Stadtverwaltung die maroden Gebäude renovieren und instand setzen.
Doch dies wird nicht für die dort seit Jahrzehnten ansässigen Bewohner getan, sondern um Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungen für den in pre-pandemischen Zeiten boomenden Tourismus zu schaffen. Viele Wohnungen werden an reiche Ausländer verkauft, die in Portugal ihren Lebensabend verbringen wollen, aus beruflichen, persönlichen oder sonstigen Gründen nach Portugal kommen.
Die Einheimischen können sich die spekulativen Mieten oder Kaufpreise nicht leisten und so geht der typische Charakter ganzer Stadtviertel verloren. Keine Wäscheleinen mehr, die quer über die engen Gassen gespannt werden, kein Fado von Amalia Rodrigues oder Carlos do Carmo der aus geöffneten Fenstern schallt oder Nachbarn die sich am Fenster angeregt unterhalten. Schon vor der Pandemie wurden auch die „Sardinhadas“ immer seltener. Leute die sich mit einem kleinen Holzkohlegrill vor ihre Haustüre setzen und Sardinen, Paprika oder Schweinebauch grillen, gehören nicht nur bei den Festen zu Ehren der Stadtheiligen (São João, Santo António, São Pedro…) zum Straßenbild, sondern sind den gesamten Sommer über zu beobachten – doch leider eben immer seltener.
Dafür sieht man immer öfter Menschen, die in einer Nische ein paar Decken und Kartons haben, auf denen sie schlafen. Sie wurden auf die Strasse gesetzt, weil sie die gestiegenen Mieten, einhergehend mit immer teurer werdenden Strom-, Wasser- und Gasrechnungen nicht weiter bezahlen konnten.
Der Fotograf Gonçalo Fonseca ist der Autor de preisgekrönten Fotoreihe „Das neue Lissabon“, die die Not der alteingesessenen Lissaboner zeigt, die sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können und auch sonst von den Miethaien unter Druck gesetzt werden.
https://www.facebook.com/TitelThesenTemperamente/posts/3554072957962164
Portugals historische Altstädte, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben und denkmalgeschützt, wurden in den letzten Jahren mit öffentlichen Zuschüssen von privaten Investoren renoviert und instand gesetzt. Die Wiederherstellung war auch dringend nötig, da immer wieder Menschen bei Bränden und Einstürzen der Baufälligen Gebäude zu Schaden kamen.
Aber die „Investoren“ entpuppten sich größtenteils als skrupellose Spekulanten, die sich durch unsaubere Geschäftspraktiken auszeichnen. Das Wort „Korruption kommt einem zwangsläufig in den Sinn, obwohl diesbezüglich keine Beweise vorliegen. Tatsache ist und bleibt die Verdrängung der alteingesessenen Bewohner, bei denen es sich meist um alte Menschen mit niedrigen Renten (200-300 €) handelt.
Die Armut macht diese Menschen zu leichten Opfern, die sich somit kaum wehren können und letztendlich auf der Strasse landen. So sieht der Tourist, wenn er wieder nach Portugal kommen kann, wunderschön renovierte Fassaden im Jugendstil, frisch gestrichene Fenster und Türen, Restaurants und Andenkenläden, wenn er aus seiner Ferienwohnung oder einer Pension beziehungsweise Hostel im Bairro Alto (Lissabon) oder der Ribeira (Porto) auf die Strasse geht.
„Stay at home“What Home?

Wenn man aber genau hinschaut, dann kann man in heruntergekommenen Gegenden Menschen sehen, die in baufälligen Ruinen leben, ohne Wasser und Strom, ohne Hygiene und immer in Gefahr. Nicht nur das Gebäude ist eine Todesfalle (Einsturz, Brandgefahr, Überschwemmung), sondern auch empathielose Mitmenschen, die sie von dort verjagen, Diebe die ihnen die paar Euro stehlen, die sie zum Leben haben und sogar die Polizei, die sie von dort vertreiben, damit sie „das Stadtbild nicht„verschandeln“.
Die regelmäßigen Besuche von Präsident Marcelo R. De Sousa bei den Obdachlosen, mit der Presse im Schlepptau, brachten in der Praxis nur wenig. Das gebrochene Versprechen des Präsidenten, die Obdachlosen von der Strasse zu holen, kann nicht mit der Pandemie entschuldigt werden. Im Gegenteil! Es wäre wichtiger denn je, den Menschen eine feste Unterkunft zu geben. „Stay at home“ – bleib zu Hause – klingt für Menschen, die kein Zuhause haben, wie blanker Hohn!
In der Europäischen Union leben 700.000 Menschen auf der Strasse. Doch durch die Wirtschaftskrise, die Hand in Hand mit der Pandemie um die Welt geht, nimmt diese Zahl täglich zu. In Portugal wurden Notunterkünfte (Notaufnahmezentren für Obdachlose)  eröffnet, um die Obdachlosen durch diese schwere Zeit zu bringen. Allein in Lissabon gibt es inzwischen vier dieser Zentren, in denen unter anderem Sozialarbeiter, Psychologen und medizinisches Personal und auch freiwillige Helfer arbeiten.
Die Verwaltung der vier Notaufnahmezentren für Obdachlose änderte sich jedoch zu Beginn des Jahres, und infolgedessen wurden die meisten dort arbeitenden Angestellte entlassen, obwohl ihre Stellen mehr denn je benötigt werden. Diejenigen, die geblieben sind, beschweren sich, dass sie jetzt ein niedrigeres Gehalt haben, um die gleichen Funktionen zu erfüllen. Zwei jetzt arbeitslose Sozialarbeiterinnen berichteten bei der letzten lissaboner Ratsversammlung am Mittwoch über die Vorkommnisse.
Als die Covid-19 Pandemie im März letzten Jahres Portugal erreichte, schuf das Lissaboner Rathaus einen Raum, um denjenigen ein Zuhause zu geben, die weder ein Dach über dem Kopf noch einen Ort hatten, um sich vor dem Virus zu schützen. Man beschloss, die Turnhalle von Casal Vistoso in Areeiro als Notfallauffangszentrum anzupassen, und die Nachfrage war so groß, dass es notwendig war, diese Aktion zu erweitern. Es wurden drei weitere Zentren eröffnet, und damit entstand die Notwendigkeit, spezialisierte Techniker auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften – Psychologen, Soziologen, Sozialarbeiter – in diesen Zentren anzustellen.
Daher hat das Rathaus von Lissabon mit dem ISCTE – Instituto Universitário de Lisboa ein Protokoll über die Auswahl und Einstellung qualifizierter Humanressourcen für diese Zentren erstellt. Ende letzten Jahres beschloss das ISCTE, diesen Vertrag mit der Gemeinde zu beenden, wodurch die Arbeitsplätze von rund 50 Mitarbeitern eine ungewisse Zukunft vor sich haben.
Die Lage in Portugal ist extrem prekär. Die Wirtschaft steht still und Tausende verloren ihre Arbeit, ihr Einkommen und ihre Hoffnung. Wer seine Miete nicht zahlen kann ist vom Gesetz her geschützt, was aber viele, besonders ältere Menschen, nicht wissen. Manche Miethaie nutzen die Situation eiskalt aus, um diese Leute auf die Strasse zu setzen. Somit gibt es immer mehr Hilfsbedürftige einerseits und, mit zunehmend knapper werdenden Ressourcen, immer weniger Hilfe andererseits.
Die Versprechen der Politiker sind nichts wert, wenn sie nicht eingehalten werden. Während die Zentren große Probleme hatten und die Mitarbeiter dort entlassen wurden, machte Präsident Marcelo Rebelo de Sousa munter Wahlkampf und vergas dabei die Versprechen, die er während seiner Amtszeit gebetsmühlenartig wie ein Mantra wiederholt hatte.
Sr. Marcelo! Es wird Zeit ihr Versprechen zu halten! Por favor! Die sem-abrigo de Lisboa, Porto und im ganzen Land brauchen ein Zuhause um zu Hause bleiben zu können. Es würde mich freuen, wenn sie auf diesen Artikel antworten könnten. Dabei wäre es schön, wenn sie ihre guten Deutschkenntnisse nutzen, damit unsere Leser ihre Antwort auch verstehen. Vielen Dank, muito Obrigado, Sr. Presidente.

 

 

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