Portugals Arbeiterklasse fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen – Armut nimmt weiter zu

Symbolbild, Quelle: YouTube

Rui Filipe Gutschmidt Chefredakteur, von Info-Welt – 7. Juli 2021

Rui Filipe Gutschmidt

Die linken Parteien kritisieren in einer Zeit, in der die vierte Welle von Covid-19 das Land heimsucht, die soziale Kälte der portugiesischen Regierung. Portugals Arbeiterklasse fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen und die Armut nimmt Tag für Tag zu. Hinzu kommt, dass Strom, Wasser und Gas wieder abgestellt werden dürfen, wenn Zahlungen weiterhin in Verzug sind.

Catarina Martins, die Vorsitzende des Bloco Esquerda (Linker Block [BE], spricht im Namen von Tausenden Menschen, die wie sie sagte, „auch uns kontaktieren und die trotz Einschränkungen ihrer Aktivitäten ohne Unterstützung geblieben sind“.

Bei vielen Portugiesen sind in den bisher 16 Monaten der Pandemie hohe Schulden für Wasser-, Strom- und Gas aufgelaufen. Sie können noch nicht beglichen werden, weil diese Menschen noch nicht zur „Normalität“ zurückkehren konnten. Es handelt sich überwiegend um Arbeiter,/innen, kleine Handwerker,/innen Ladenbesitzer/innen, Rentner/innen und natürlich auch um Erwerbslose. Hinzu kommen all die vielen Gelegenheitsjobber/innen und prekär Beschäftigte, die versuchen, sich irgendwie etwas zu ihrer spärlichen Rente oder Sozialhilfe dazu zu verdienen gemeint. Kurz gesagt, alle, die weniger als 762 €  im Monat (offizielle Armutsgrenze) zum leben haben und die jetzt mit noch weniger Geld auskommen müssen als vorher schon. Die „Sozialhilfe“ (RSI) wird nicht jedem gewährt und viele bekommen daher noch nicht einmal diese 189,66 im Monat.

Portugiesische Sozialhilfe – Seit Jahren unverändert bei maximal 189,66 – Bild von Rui Filipe Gutschmidt © – Ausnahmegenehmigung für die Seiten der Roten Publisher
Die neoliberale Privatisierungswelle, bei der in ganz Europa und in vielen anderen Ländern der Welt öffentliches Eigentum an private Aktiengesellschaften verscherbelt wird, hat auch in Portugal so manchen Aktionär und wohl auch einige Politiker zum Großaktionär bzw. reich gemacht. Nun muss man mit Korruptionsvorwürfen vorsichtig sein, aber dass der portugiesische Staat beim Verkauf des Stromanbieters EDP, beim Telekommunikationsunternehmen PT, bei der Post und auch bei der Fluggesellschaft TAP übern Tisch gezogen wurde (oder sich – ziehen lassen hat) ist allgemein bekannt. Für den Bürger, den Verbraucher, der eigentlich einen Anspruch auf funktionierende Dienstleistungen zu bezahlbaren Preisen haben sollte und dem versprochen wurde, dass die sog. „Liberalisierung des Marktes“ für mehr Konkurrenz und angeblich für einen besseren, günstigeren Service sorgen würde, hat sich alles nur verschlechtert und verteuert. Gleichzeitig wurden Gehälter gesenkt und viele Stellen abgebaut oder durch Leiharbeiter/innen und präkär Beschäftigte ersetzt.

Während des Ausnahmezustands und bei den unzähligen Einschränkungen verloren sehr viel Menschen ihr Einkommen oder mussten von zu Hause aus arbeiten. Doch wie soll man ohne oder mit stark gesunkenem Einkommen und im Gegenzug durch das Verweilen in den eigenen Vier-Wänden gestiegenen Konsum, seine Strom-, Wasser- und Gasrechnung bezahlen? Der Regierung blieb nichts anderes übrig, als den Unternehmen vorübergehend das Abstellen von Strom, Gas und Wasser zu verbieten. Natürlich liefen dabei Schulden auf, dessen Tilgung jetzt, seitdem die Unternehmen ab 1. Juli wieder zur Kneifzange greifen dürfen, nicht von der Regierung reguliert wurde.
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Die Wasserwerke sind theoretisch – und mancherorts auch praktisch – noch in städtischer Hand. Doch manche Gemeinden haben diese Dienstleistung an private Unternehmen konzessioniert und ignorieren dabei völlig die Monopolstellung über ein Gut, das ein fundamentales Menschenrecht ist. Ja, Wasser ist ein Menschenrecht! Doch der sonst so „moralisch überlegenen“ EU-Kommission oder gar der Konkurrenzaufsicht der EU ist das anscheinend völlig egal. Hauptsache ein staatliches Unternehmen wird nicht finanziell von diesem Staat subventioniert (also finanziert, wenn wie jetzt eine Krise dieses angeblich nötig macht). Das wäre ja „unlautere Konkurrenz“.
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Die vielen Milliarden, die von der EU flüssig gemacht wurden, haben nur ein ein Ziel. Die Nutzniesser simd immer die Selben! Große, internationale Konzerne, Banken und deren Großaktionäre sind inzwischen Profis im absahnen von Subventionen obwohl sie diese nicht brauchen. 

Portugals EU-Vorsitz ging mit dem 30. Juni zu Ende (Slowenien übernahm am 1. Juli) und der Premierminister Costa zog in einem Interview gegenüber der Zeitung „Publico“ Bilanz. Catarina Martins kritisierte eine darin getroffene Aussage des portugiesischen Regierungschefs: „Wenn der Premierminister erkennt, dass die Erholung in ganz Europa langsam verlaufen wird, sollte er auch die Schwierigkeiten derer erkennen, die im (eigenen) Land arbeiten.“

In der Zeit, in der verschiedene Einschränkungen der Mobilität und der Wirtschaftstätigkeit wieder eingeführt wurden, beschloss die portugiesische Regierung, die ab März dieses Jahres eingeführten „Einzelunterstützungen“ wieder fallen zu lassen. Am 30. April dieses Jahres waren 130.000 Arbeiter aufgrund wirtschaftlicher Einschränkungen an der Arbeit gehindert und auf diese Unterstützung angewiesen.

Catarina Martins sagte: „Die Regierung hat diese Leute ohne Unterstützung gelassen“ und sie wurden „absolut verlassen. Die Forderung eines Landes, das auf die Krise reagiert, besteht darin, diejenigen nicht zurückzulassen, die aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nicht arbeiten können. Es ist eine Mindestanforderung, wenn die Aktivität der Menschen eingeschränkt ist, ihnen Unterstützung zu gegeben. Wenn die Regeln im Namen der öffentlichen Gesundheit akzeptiert werden, brauchen sie die Solidarität des ganzen Landes“, sagte sie weiter.

Nach den Lockerungen in Portugal geniessen viele die „Freiheiten“ wieder ins Cafe gehen zu können, doch die Betreiber/innen stehen oft vor dem Ruin. Bild YouTube

Deswegen fordert der Linke Block „bis Ende des Jahres eine Unterstützung für alle Menschen, deren Aktivität nicht stattfindet. Verurteilen wir nicht diejenigen zur absoluten Armut, denen wegen der Pandemie nichts geblieben ist. Es ist eine einfache und wesentliche Voraussetzung. Wenn der Premierminister anerkennt, dass die Erholung in ganz Europa nur langsam vonstattengeht, muss er auch die Schwierigkeiten der im eigenem Land arbeitenden Menschen erkennen.“ Sagte Martins weiter.

In ganz Portugal schließen viele Restaurants, Cafés und kleine Pensionen. Die ausbleibenden Touristen versetzen der Wirtschaft und damit insbesondere den Arbeitern und kleinen Geschäftsleuten einen schweren Schlag. Laut OECD haben 25,5 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Einnahmeverluste von über 40 Prozent im Vergleich zu 2019 hinnehmen mussten, keine staatlichen Hilfen bekommen haben.
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Ich, als ein in Portugal lebender Deutscher, der schwerbehindert und Erwerbsunfähig ist, habe ich ebenso große Verluste, deren schlimmste Auswirkung die offenen Rechnungen von Gas, Strom, Internet und vor allem Wasser sind. Keine Flohmärkte wegen der Pandemie mehr auf denen ich Kleinkram verkauft habe, Mitbewohner/innen die – erst ohne eigenes Verschulden aber inzwischen in voller Absicht – ihre WG-Anteile nicht bezahlt haben, und keine Einnahmen durch Gelegenheitsarbeiten haben sich zu zusätzlichen Ausgaben und Preiserhöhungen gesellt um mir das Leben völlig zu versauern.

So bleiben mir nur 189,66 Euro im Monat und die Spenden der Info-Welt Leser/innen, denen ich hiermit noch einmal meinen Dank aussprechen möchte. Die Einnahmen aus Werbung waren so gering das die redaktion nun beschlossen hat, auf diese zu verzichten.
Ich setze da lieber auf die Solidarität der Leser/innen, die schon mit einem kleinem Betrag helfen können, Info-Welt online zu halten. Bitte beachtet deswegen auch unseren Spendenaufruf (unten).

Euer Rui Filipe Gutschmidt

 

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