Rui Filipe Gutschmidt Redaktion – 2. Januar 2022
Der portugiesische Präsident Marcelo R. de Sousa hat nach dem scheitern der Verhandlungen zum Haushalt 2022 das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. Da die Beliebtheit des Premierministers António Costa auf einem Allzeithoch liegt und das Krisenmanagement der PS-Minderheitsregierung allgemein als positiv eingeschätzt wird, tendiert die öffentliche Meinung dazu den Parteien zu Costas Linken die Schuld an der „politischen Krise“ zu geben. Doch was ist der wahre Grund für die vorgezogenen Neuwahlen am 30. Januar 2022?
Bei genauerem Hinsehen kann man das politische Kalkül von Premierminister Costa entdecken, der opportunistisch diese Krise herbeigeführt hat und mit einer ausgeklügelten Propagandastrategie seinen ehemaligen Verbündeten (BE, PCP und PEV) die Schuld in die Schuhe zu schieben sucht. Die Frage ist nur, wie stark lassen sich die Wähler manipulieren und welche Gegenmaßnahmen können die anderen Parteien ergreifen? Es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, neben vielen anderen Gesichtspunkten, die in den nächsten Wochen darüber entscheiden werden ob Costa sein Ziel einer absoluten Mehrheit erreicht, oder ob er sein Blatt überspielt hat und am Ende die linke Mehrheit sogar ganz verloren geht.
Es ist also an der Zeit Bilanz zu ziehen. Portugals Parteien bereiten sich auf einen harten Wahlkampf vor, der von schlechtem Wetter und der Covid-19 Pandemie erschwert wird. Es ist zusätzlich die Auffassung vieler Wähler, dass diese vorgezogene Wahl eine Verschwendung öffentlicher Gelder ist. Die Privaten TV-Sender SIC, CNN-Portugal und CM-TV verbreiten diese Idee, die aus dem rechtskonservativen, antidemokratischen Lager stammt und die sich gegen die Parteien zu Costas Linken richtet.
Die Wahlen (und damit die Kosten für die Staatskasse) hätten „verhindert werden können“, wenn der Linke Block (BE), oder die Kommunisten und Grünen (PCP/PEV=CDU) sich bei der Abstimmung zum Haushalt 2022, der Stimme enthalten hätten. Doch bei den Verhandlungen vorab haben Costas Regierung und seine Partei (PS) die Vorschläge von den linken Parteien zu Renten, Arbeitnehmerrechte, Mindestlohnerhöhung und zur Verbesserung des öffentlichen Gesundheitssystems, systematisch abgelehnt. Es wäre „nicht finanzierbar“, doch 300 Millionen € für die Pleitebank „Novo Banco“, waren kein Problem. Nach Auflösung des Parlaments wurde diese (Un)summe ohne Zustimmung der Volksvertreter in das Milliardengrab gesteckt. Aber Wahlen – Inbegriff der Demokratie – sind eine Geldverschwendung?
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Die Parteien im Vorwahlkampf
CHEGA (es reicht) – Rechtspopulisten, Neofaschisten
Der Rechtspopulist André Ventura hat seine Position als „Führer“ in der Partei bei internen Wahlen gefestigt und sein Rednertalent vereint verschiedene rechtsextreme Strömungen hinter sich. Obwohl viele inzwischen die Hasstiraden und die Lügenmärchen vom „bösen Staat“ durchschaut haben, steht Venturas Anhängerschaft nach wie vor hinter ihm. Die Stimmen für CHEGA gehen den konservativen Mitterechtsparteien (CDS/PP, PSD/PPD) verloren.
Koalitionen mit anderen Parteien sind äußerst unwahrscheinlich.
IL (Liberale Initiative) – Neoliberal
Die Partei der Banker, Unternehmer und Anwälte wurde zur Sammelstelle enttäuschter CDS und PSD-Mitglieder beziehungsweise Wähler.
Im Mitterechtslager sind sie mögliche Koalitionspartner für CDS und PSD.
CDS (Sozialdemokratisches Zentrum) – Christdemokraten, Konservative
Die „Zentristen“ sind seit Wiederherstellung der Demokratie (25. April 1974) ein wichtiger Bestandteil des politischen Lebens Portugals. Sie gehören dem sogenannten „Arco de governação“ – „Regierungskreis“ – an und waren oft als „kleiner Koalitionspartner“ an der Seite der PSD Teil der Regierung. Doch Korruption und interne Machtkämpfe haben eine Abwanderung zu den anderen Parteien des rechten Spektrums bewirkt. Die Partei, die in der Troikaregierung 2011-2015 für viel Leid und Misere mitverantwortlich war, ist nur noch ein Schatten dessen, was sie einmal war.
Koalitionen mit IL, PSD und eventuell sogar mit der PS sind möglich.
PSD (Sozialdemokratische Partei) – Mitterechts, Konservativ, Neoliberale Züge
Die „Sozialdemokraten“, die keine sind, nie waren und deren Politik die Interessen des Kapitals, der katholischen Kirche und der Konservativen begünstigt, sind Premierminister Costas stärkste Herausforderer. Im November/Dezember konnte das ganze Land mit ansehen, wie der ehemalige Europaabgeordnete Paulo Rangel den ehemaligen Bürgermeister von Porto und Vorsitzende der PSD Rui Rio herausgefordert hat. In einer Schlammschlacht war klar zu sehen, dass es diesen Leuten um persönliche Macht geht und nicht im geringsten um das Allgemeinwohl oder die Probleme des Landes. Den Umfragen zufolge haben die Menschen diesen Kleinkrieg schon wieder vergessen und die Propaganda der privaten TV-Sender läuft auf Hochtouren.
Koalitionen mit IL, CDS und eventuell mit den Umwelt- und Tierschützern der PAN sind möglich. Eine zentraler Block mit der PS ist eher unwahrscheinlich.
PAN (Personen, Tiere und Natur) – Mitterechts, Umwelt- und Tierschutz
Die Tierschutzpartei war die einzige die den Haushaltsplan der Regierung unterstützt hat. Die 4 Abgeordneten der Partei waren jedoch nicht ausreichend um eine Rolle zu spielen.
Die PAN ist bereit mit jeder anderen Partei eine Koalition einzugehen, mit Ausnahme der rechtsextremen CHEGA.
PS (Sozialistische Partei) – Sozialdemokraten, Mittelinks, Progressiv
Die Regierungspartei PS hat nur auf eine Gelegenheit gewartet, um Neuwahlen herbeizuführen, bei denen sie die absolute Mehrheit erringen können. Die gescheiterten Verhandlungen mit den linken Parteien im Parlament waren – meiner persönlichen Meinung nach – der Vorwand, den die PS brauchte.
António Costa will die absolute Mehrheit, doch wenn er diese nicht bekommt, dann bevorzugt Portugals Premierminister seiner eigenen Aussage nach eine Neuauflage der „Geringonça“ (parlamentarisches Linksbündnis 2015-2019, 2019-2021).
CDU (Unitarisch-Demokratische Koalition) = PCP+PEV (Kommunistische Partei Portugals+Ökologische Partei „Die Grünen“ – Kommunisten + Linksökologische Umweltschutzpartei
Ein jahrzehntelanges Bündnis zwischen Kommunisten und Grünen kämpft gemeinsam für bessere Löhne, Arbeitnehmerrechte und Umweltschutzthemen. Doch die Wähler, insbesondere die jungen, politisch interessierten, sehen die PCP als eine „Partei der Alten“, die in der Zeit stehen geblieben ist. Aber in den letzten 6 Jahren haben die Kommunisten und die Grünen – gemeinsam mit dem Linken Block und der Regierungspartei PS – viel für die Menschen getan, die in den Jahren der Troika von Schäubles Austeritätspolitik in die Misere gestürzt wurden.
Neuauflage der „Geringonça“, wenn möglich mit, ist das Ziel der CDU.
BE (Linker Block) – Linksprogressive, Sozialisten
Die Partei der starken Frauen und ihrer emblematischen Vorsitzenden Catarina Martins, wird seitens der Regierung und des gesamten rechten Spektrums der politischen Parteienlandschaft die „Schuld“ für die „ach so teuren Wahlen“ angelastet. Aber das ist nichts weiter als billige Propaganda, in einem Vorwahlkampf der Opportunisten. In Wahrheit war der BE sich selbst und vor allem seinen Wählern gegenüber treu in den Verhandlungen zum Haushaltsplan 2022 und Catarina Martins wirft Premierminister Costa ihrerseits Kompromisslosigkeit vor. Zu den genauen Vorschlägen des BE, die Premierminister António Costa abgelehnt hat und zu den Zielen des Bloco de Esquerda, werde ich im nächsten Beitrag genauer eingehen.
Eine Neuauflage der „Geringonça“ mit einem verstärkten Stimmanteil ist das Ziel des BE.
Der Wahlkampf beginnt offiziell erst 14 Tage vor der Wahl (am 30. Januar), doch der gesamte Monat wird von gegenseitigen Schuldzuweisungen, TV-Debatten und Propagandaaktionen bestimmt sein. Es bleibt zu hoffen, dass die Opportunisten durchschaut werden und die konkreten Vorschläge zur Verbesserung des Lebens der Portugiesen, wie auch aller anderen in Portugal lebenden Menschen, den Ausschlag geben wird. Mehr dazu im nächsten Artikel.
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