Fourier und Dzierzynski

Volkskorrespondenz zum Wochenede
Heinz Ahlreip – 2. April 2022
Heinz Ahlreip

Es wird in der Sekundärliteratur zum Werk von Charles Fourier berührt, in den Kommunebildungen der 68er Studentenbewegung Grundmuster der sozietären Gemeinschaft des utopischen Sozialisten zu erkennen. Das hat etwas für sich, denn dieser Utopist huldigte der kleinbürgerlichen Libertinage und verführte den erlebnishungrigen, meist konservativen Elternhäusern entkommenen und politisch ungebildeten Studentinnen und Studenten zu dem Irrsinn, die Straße zum Kommunismus trage statt des Namens Felix Dzierschynski den Namen Sex, Drugs & Rockn‘ Roll.

Die intellektuelle Szene Westberlins gab damals eine Mischung aus Drogen, de Sade, Bakunin, Reich, Marcuse und den Stones ab. Man orientierte sich mehr an die kurzlebige Hippiebewegung in San Franzisco als an der Oktoberrevolution in Petrograd. Martin Burckhardt liest 2006 die Studentenrevolte um Kunzelmann, Langhans und Teufel primär als einen Akt sexueller Befreiung (Vergleiche Martin Burckhardt, Die Psychopathologie der Zivilisation, in: Charles Fourier, Der Philosoph der Kleinanzeige, semele verlag berlin, 2006,97).

Felix Dserschinski (1877-1926) gründete mit der Tscheka den ersten Geheimdienst der Sowjetunion | Quelle: picture alliance / akg-images

Das kann man so sehen, dieser Akt führte dann ja auch in den Tunnel politischer Stupidität, während uns der Gegenentwurf eine scharfe Kontur vorgibt: Bekanntlich trugen die Genossen um Lenin den Ehrennamen ‘Die Felsenfesten`, alles Heteronome musste an diesen Panzermenschen der roten Revolution abprallen. Der Stählerne kam nicht von Ungefähr. Der polnische Kommunist Jakob Hadecki berichtet in seinen Memoiren über Feliks Dzierschynski: “Man kann sich nur schwer ein Bild von der eisernen Disziplin machen, mit der er arbeitete. Nachtruhe gönnte er sich selten. Es kam vor, dass man ihn mit Gewalt zum Essen zwingen musste. Er arbeitete achtzehn bis zwanzig Stunden am Tag“1. Hier haben wir das letzte Wort eisernen Willens und eiserner Disziplin vor uns, das uns gemahnt, dass ein Kommunist primär ein Tschekist ist: Immer der Konterrevolution auf den Fersen zu sein. Es ist erwägenswert, was der ‘Eiserne Feliks‘ heute wohl zur ‘Roten Fahne‘ der MLPD sagen würde, in der eine sitten- und zügellose, außer Rand und Band des wissenschaftlichen Sozialismus geratene Redaktion mit bunten und weißen Zeitschriftenseiten nur so um sich wirft und wertvollen Platz für die Vermittlung des Marxismus-Leninismus vergeudet, so dass es nicht verfehlt ist, hier, statt von einer roten Zeitschrift von einer weißgardistischen zu sprechen.

Heute hat das Fehlverhalten der damaligen aufbegehrenden Generation dazu geführt, “den Konsum gar nicht mehr anders denn als eine Transfiguration des sexuellen Begehrens lesen“ (Martin Burckhardt, Nachwort zu Charles Fourier, Der Philosoph der Kleinanzeige, semele verlag berlin, 2006, 220f.) zu können. Jeder Supermarkt ist heute eine geschickt im Unterbewusstsein versteckte Erotikboutique, in der nicht zufällig am meisten mit der Hippiemusik der 60er Jahre berieselt wird. Der klassische Hippiesong der aus San Franzisco stammenden Grassroots mit dem Thementitel ‘Let’s live for today‘ manipuliert und animiert damals wie heute zum nicht kalkulierenden Konsum. Das war eben der Irrtum, bereits im dahinfaulenden Spätkapitalismus qua Happenings jeder und jedem seine Bedürfnisse ausleben zu lassen. Die Lokalisierung des Kommunismus hinter den Gittern von Stammheim und nicht aus dem Sozialismus sich entwickelnd, gab nicht Marcuse, sondern Karl Marx Recht, der von einer langen und qualvollen Periode zwischen Kapitalismus und Kommunismus gesprochen hatte. Das Konzept von Marcuse war unreif und wenig durchdacht, den Prozess zum Kommunismus als eine kettenlose Aneinanderreihung von Schockhappenings zu zergliedern. Die Bewahrung einer Prozesskontinuität ist eine der Aufgaben einer kommunistischen Partei. Der in den USA für den CIA arbeitende Herbert Marcuse wurde von bürgerlichen Studenten groß in Szene gesetzt und hielt 1967 den Vortrag über das Ende der Utopie in der sogenannten ‘Freien Universität‘ in Westberlin, nur hielt er diesen nicht im Sinne von Friedrich Engels und dessen Schrift ‘Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft‘. Die Quintessenz von Marcuse, der sich direkt auf Fourier bezog und so tat, als rühre er im Kommunismus herum, lautete: Die Freiheit ist ein nirgendwo Bestehendes. Aber deswegen fliegt man doch nicht aus den USA nach Deutschland.

1 Feliks Dzierzynski, Biographie, Dietz Verlag Berlin 1981,69.
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