DIE NEUE MAUER…

Der Mauerfall - Berlin 1989 - Bild von LOCKEN ROCK, Flickr.com CC BY-ND 2.0

Dreißig Jahre Mauerfall! Und wie die Meute der Eroberer jubelt! Da meinen wirklich ganz Schlaue, die vollendete Demokratie erwischt zu haben. Mitwirkung in der Wirtschaft? Mitbestimmung gegen Rüstung und Krieg? Veröffentlichungen von gesellschaftskritischen Autoren? Nein, das gehe nicht, damit erreiche man keine Wirtschaftlichkeit. Medien, die sich zumauern, wenn grundsätzlich andere Machtverhältnisse angedacht werden. So lehnte kürzlich eine Zeitung aus dem Chor der „Qualitätsmedien“ eine Buchbesprechung mit der vagen Begründung ab, „dass aus grundsätzlichen redaktionellen Erwägungen Rezensionsvorschläge und -anerbieten von außen nicht berücksichtigt werden können…“.

Harry Popow – 6. November 2019

So fällt die angebliche freie Meinungsfreiheit von vornherein unter den Tisch. Unter dem Deckmantel der Wiedervereinigung streckte die Heilige Kuh des Profits ihre staatlichen und parteigebundenen Stellvertreter aus, um neue Weideflächen zu besetzen. Sie nahm den einstigen gemeinschaftlichen Besitzern Grund und Boden weg und verhieß angesichts der nunmehr im Westen aufgehenden Sonne „Blühende Landschaften“. Ihren Siegeszug bemäntelte sie mit den großen Worten „Freiheit und Demokratie“. Im Namen dieser seit der Französischen Revolution aufgekommenen Losung kam man nach der Konterrevolution auf die glorreiche Idee, von nun an allen und jedem zu gestatten, seine Innereien vor dem Volk auszuschütten, so dass man glauben sollte, die persönliche Freiheit sei das A und O jeglichen Wohlbefindens, darin stecke der Sinn menschlichen Daseins. Im Namen von Freiheit und Demokratie werden sämtliche Demos gegen Machtwillkür gestattet, um im nächsten Moment unter der gleichen Losung der Verteidigung des Abendlandes die Teilnehmer von TIPP-Demos zu diffamieren und gar in die rechte Ecke zu stellen.
Wer täglich für andere schuften muss und Geld verdient, der ist gut dran. Wer mit knappem Geld einkaufen geht, muss tüchtig überlegen. Wer die Miete nicht mehr bezahlen kann, der fliegt unter Umständen auf die Straße und sucht seinen Unterschlupf unter Brücken. Wer in den Fernseher glotzt, der findet tausende Gewalttaten, Korruptionsfälle und sämtliche Sauereien. Aber nur im Miniformat. In Talkrunden zum Beispiel. Da befinden sechs Leutchen über zunehmende Taschendiebstähle in Berlin. Und das man aufpassen solle. Zwei Stunden Gequassel über Symptome und kein Wort über Ursachen, gesellschaftlicher Art natürlich. Symptome, Symptome! Über Zustände wird offen und „ehrlich“ debattiert. Damit hat sich`s. Was Wunder, wenn die Glotzer zunehmen und keine Fragen nach Ursachen mehr stellen. Man ist so daran gewöhnt, zu stöhnen und festzustellen, es ist halt wie es ist…
Beginnt mit zunehmender Ich-Bezogenheit und Gleichgültigkeit nicht der langsame Seelentod? Freiheit des Wortes. Freiheit der Meinung. Ob so oder so. Du schüttelst den Kopf, schaltest aus, gehst zu Bett. Das alles geht dir sozusagen am Arsch vorbei. Und niemand wird verschämt zurückblicken, als sehr viele bereits gedanklich gen Westen marschierten und dabei das Lied sangen „…und die Augen fest verschlossen“. Statt die „Reihen“ fest geschlossen. Ha,ha..
Was gibt es Wichtigeres als das einzigartige Leben? Mit all diesen Hoffnungen und auch Enttäuschungen? Mit all den Mühen und auch dem Spaß? Manchmal ist es zu viel des „Guten“. Gewalt, Korruption, Kriegsgefahr, Trauerspiel in Europa, nicht verfügbare Visionen, Resignation, Zerfallsprozesse, Theater und Filme, die oft genug nur Banales bieten, Talkrunden, die nur Symptome aufzählen. Inhaltsloses als Denkvorgabe. Was Wunder, dann droht Acedia: Gleichgültigkeit. Überdruss. Denkfaulheit. Trägheit des Herzens. Innere Leere. Langeweile. Ignoranz. Trostlosigkeit. Wer dem unterliegt, hat es schwer. Das Gegenteil von acedia: Sich rühren, zornigen Widerstand leisten, etwas tun. Frieden schaffen ohne Waffen. Im Bündnis mit anderen. Nicht vereinzelt. So wird ein Schuh draus.
Zukunft sieht dann anders aus. Dann droht Einsamkeit. Dann bist du ausgestoßen. Dann spürst du dein Alleinsein doppelt stark, abgehängt worden zu sein. Angewiesen auf Almosen, weil du ein außen vor bist, ein Arbeitsloser? Und dann heißt es noch, du bist selber Schuld an deinem „Missgeschick“. Und so tappst du ohnmächtig in die Falle der Selbstverschuldung, suchst nach Auswegen in dir selbst, gerätst immer tiefer in die Sackgasse der eigenen Ohnmacht, während sich der Staat aus sozialen Problemen immer mehr heraushält. Begehrst du aber auf, dann ist das dein gutes recht. Nur – das juckt niemanden. Dein Zorn verpufft wie der Schrei einer Nachteule.
Die Fragen nach dem WARUM haben den Abgang gemacht, die geistige Einengung nimmt ihren Lauf, nur wer tief gräbt hat Chancen, neue Blüten zu entdecken. Der Widerspruch liegt in allen Dingen – es kommt nur darauf an, die lösbaren zu finden, gute Ideen, neue Knospen zum Blühen zu bringen.
Unter einem Dach? Ein Volk, ein Führer. Brüder und Schwestern? Eine Nation? Eine Familie? Ein Staat? Du und ich? Die Liebe eint alle? Gut und Böse? Oben und unten? Geld und nicht Geld? Arm und reich? Gläubige und Ungläubige? Einheimische und Ausländer?
Selbst der unterschiedliche Drang nach Frieden spaltet jeden und alles!!!
Unterstreichen möchte der Autor auch die Feststellung der zwei Zeitzeugen Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und Generaloberst a.D. Fritz Streletz in ihrem Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“ auf Seite 169: Mit 1989 sei „zugleich der Versuch einer antikapitalistischen Alternative in Deutschland aus der Welt, die DDR war Geschichte. Aber mit ihr keineswegs die Vorstellung von einer anderen als der kapitalistischen Welt. Denn mit diesem Staat DDR ist ja nicht die Idee untergegangen, sondern ein bestimmtes Modell, dass den dauerhaften Angriffen des Imperialismus erlag.“ Sofern sich die deutsche Arbeiterklasse ihrer Erfahrungen bewusst wird und sich diese nicht ausreden lässt, habe sie jedoch noch eine Perspektive.
Mit herzlichem Gruß
Harry Popow
Autor, Blogger, Rezensent, Hobbymaler
http://cleo-schreiber.blogspot.com

3 Kommentare

  1. Der Mauerfall sollte einfach nur gefeiert werden, aber auf keinen Fall instumentalisiert werden.
    Von meinen wenigen deutschen Jahren verbrachte ich mehr als 3 Jahre im Schatten der Mauer, von 1985 bis Anfang 1989 in Westberlin . Die menschenverachtenden Kontrollen waren eine einzige Abschreckung. Mehr als 3 Jahre war ich eingesperrt in dieser Enge der Stadt, kannte fast jeden meter Mauer dieser Grenze die ich in immer wiederholenden Fahrradtouren abfuhr , und war froh wenn ich dieser Enge in meinen wenigen Urlaubstagen entkomme konnte .
    Die DDR wurde nicht geopfert sondern ist an ihrem eigenen Unrecht und Intoleranz zu Grunde gegangen . Heute kann sich niemand mehr vorstellen dass ein System auf Menschen geschossen hat wenn sie die Bezirksgrenze ueberschritten haben , bzw fuer diesen Wunsch der Ausreise ins Gefaengnis mussten . Feiern wir also diesen Tage denn die Mauer hat uns alle eingesperrt psysich wie physisch egal auf welcher Seite . Was daraus geworden ist , ist eine andere Geschichte

  2. ein sehr interessanter Artikel, der einmal eine andere Sichtweise beleuchtet. Natürlich sind Grenzen, die einen ganzen Kontinent durchschneiden, nicht erstrebenswert. Was allerdings unsere selbst ernannten Demokraten vollkommen ausser Acht lassen, ist, warum die DDR seinerzeit überhaupt zu solch drastischen Massnahmen greifen musste, um überleben zu können. Erstens wurden jede Menge Fachkräfte, die auf Kosten der DDR eine vorzügliche Ausbildung genossen, abgeworben und zweitens gab es auch Sabotageakte, die der Volkswirtschaft der DDR bis 1961 einen Schaden von rund 100 Milliarden Mark zufügten. Störaktionen, mit dem Ziel die Wirtschaft der DDR zu schwächen, ja sogar zu vernichten, gingen auch nach Sicherung der Staatsgrenzen weiter. Die Frage sollte also nicht lauten, warum die Wirtschaft in der DDR mitunter schlecht funktionierte- vielmehr sollten wir uns wundern, dass sie überhaupt funktionieren konnte. Der Westen, allen voran die Bundesrepublik, die den ANTIKOMMUNISMUS zur Staatsdoktrin gemacht hat (Nachwehen spüren wir übrigens bis heute in ganz Europa, durch das Erstarken faschistischer Parteien) spielt also eine sehr wichtige Rolle beim Mauerbau und sollte sich mit seinen Krokodilstränen zurückhalten. Natürlich kann, darf und sollte man Kritik auch an der DDR üben, allerdings sollte man die grade in diesen Tagen, mitunter tendenziöse Propaganda kritisch sehen und abwägen.

  3. Diese aufrichtigen und aus dem Herzen geschriebenen Zeilen machen Mut, weiter an der Seite der sehr Nachdenklichen aufzustehen und zu versuchen, mehr Licht in die politische Landschaft zu bringen. Mit herzlichen Grüßen! Harry

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