Harry Popow – 6. Januar 2020
Leseprobe aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949.
Der Autor Harry Popow wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf, arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er ist seit 1961 sehr glücklich verheiratet.
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Immer noch rot?
Juni. Spätschicht für Henry in der Videotextredaktion. Die junge Mitarbeiterin Inka und er füttern die Bildschirme mit den neuesten Nachrichten. Es ist gegen 22 Uhr. Plötzlich ein Anruf. Eine männliche Stimme. Unfreundlich, mürrisch. Sie wettert los: Warum „ihr da in Ostberlin“ die und die Nachricht, so wie bei der ARD, nicht sendet. Henry antwortet höflich, dass die Auswahl von der Redaktion, also von den Mitarbeitern, getroffen wird, und es bestehe kein muss zu kopieren. „Ja ihr Kommunisten, immer noch rot, was?“ Dieser Anrufer war aufgebracht, offensichtlich bis zur Weißglut, als Henry ihn mit der Formulierung „dialektische Betrachtungsweise“ konfrontiert. Das war zuviel für den guten Mann. Er droht, Mühlfenzl, den obersten Abwickler aus dem Westen für das Ostfernsehen, zu informieren. Henry lag eine harte Entgegnung auf den Lippen, doch ihm ist bewusst, er ist in dieser Situation kein Privatmann … Also sagt er diesem nur: „Wir haben zu tun, mein Herr“, und legt den Hörer auf. Ein leicht aufgewühlter Henry, wütend gar: So ein dummfrecher deutscher Kleinbürger und manipulierter Antikommunist. Das kann ja alles noch heiter werden …
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Stanislaw, Henrys sowjetischer Freund und ehemaliger Militärjournalist aus Moskau, kurz bei ihm zu Besuch. Große Freude. Henry hat ihn Anfang der siebziger Jahre während eines Gedankenaustausches zwischen sowjetischen Militärjournalisten und den NVA-Armeekorrespondenten im Militärbezirk Neubrandenburg kennengelernt. Als beide Familien in Potsdam wohnten, wurden die Kontakte – auch die familiären, nach offentsichtlich grünem Licht für den Oberst – noch enger. Dessen Tochter litt an Krebs. Deutsche Ärzte halfen, aber es war bereits zu spät. Nun saß er also bei Popows, der große liebenswürdige Kerl. Fragte, ob wir gemeinsam irgendwie einen Verlag gründen könnten. Auch war er mit einigen gedruckten bunten Karten aus Moskau auf dem Kudamm, um sie anzubieten … Traurig, das tut weh …
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Zum Inhalt
Ausgangssituation ist Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr, für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz. Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken. Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989 seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen, sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen, so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin, machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“ nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien, politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender!
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Empfehlung Info-Welt:
Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro
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